Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
Vorstellung davon, wie man sämtliche Spuren eines milliardenschweren Projekts beseitigen wollte, das Jahre gedauert hatte und an dem Hunderte von Menschen beteiligt gewesen waren, aber ich begriff, dass ich und die 302
anderen Cyborgs gewissermaßen lebende Beweisstücke waren.
Man kann Akten vernichten, Bänder und Festplatten löschen, Zeugen einschüchtern oder sich ihr Schweigen erkaufen –
solange es fünf Männer gibt, die man nur vor ein Röntgengerät zu stellen braucht, um das Unglaubliche zu beweisen, sind alle anderen Maßnahmen nutzlos.
»Wie lange wissen Sie schon von Dragon Blood ! «, fragte ich.
»Seit gestern Abend.«
Eine interessante Frage wäre gewesen, wo Harold Itsumi
dieses Wort aufgeschnappt haben mochte. Eine Frage, die ich unmöglich aufwerfen konnte, ohne zu verraten, dass ich den verschwundenen Ordner zu Gesicht bekommen hatte.
»Ich fürchte, George, Sie hängen da mit drin«, sagte ich stattdessen. »Wenn die wirklich das Steel-Men-Korps
eliminieren, werden Sie einen... Unfall haben, genau wie Gabriel und die anderen.«
Reilly sah mich apathisch an. Bei seinem Besuch am
Sonntagabend hatte er nur angespannt und schlecht gelaunt gewirkt; jetzt sah er aus wie jemand, der sein ganzes Leben unaufhaltsam in Trümmer fallen sieht.
»Ich weiß«, sagte er schließlich, als sei damit alles gesagt.
»Und?«
Er stand auf, schwerfällig, als habe sich in den letzten Minuten sein Gewicht verdoppelt, und ging hinüber zu dem Schreibtisch, auf dem der Koffer mit dem Satellitentelefon lag.
Darüber hing ein goldgerahmter Spiegel. »Das ist mein
Leben«, erklärte er seinem Spiegelbild. »Was soll ich denn machen? Ich habe den Eid auf die Fahne geschworen, auf die Verfassung der Vereinigten Staaten. Ich habe geschworen, mein Leben zu geben, wenn es meinem Land dient. Zu sterben, 303
wenn der rechtmäßig gewählte Präsident es befiehlt. Das ist mein Leben, Duane.«
Einen kurzen Moment lang hatte ich den Verdacht, alles
könnte ein abgekartetes Spiel sein, in dem Reilly die Aufgabe zufiel, mir die Selbstaufgabe schmackhaft zu machen, die man offenbar von mir wollte. Sie mit Patriotismus und hehren Idealen hübsch golden anzumalen, die banale Tatsache, dass ein Kommando Agenten auf den Befehl wartete, mich zu töten.
Doch wenn Reilly ein so guter Schauspieler gewesen wäre, dann hätte er sich nicht in all den Jahren so viele peinliche Blößen gegeben. Nein, er sprach wirklich zu sich selbst.
»Hören Sie auf, George. Mit Treue zur Verfassung hat das alles nichts zu tun. Das ist einfach ein dreckiges Geheimdienstspiel, weiter nichts.«
»Ja«, nickte er. »Ja, das ist es.« Er drehte sich zu mir um.
»Sie hatten übrigens Recht.«
Man hört normalerweise gern, dass man Recht hat, aber im Augenblick hätte ich darauf verzichten können. »Ich? Womit?«
»Es waren unsere Leute, die Itsumi ausgeschaltet haben.«
Damit sagte er mir nichts Neues mehr, und ich ließ es
bleiben, Unglauben oder Entrüstung zu heucheln. Stattdessen fiel mir ein, was an dieser Sache seltsam war, wenn man
bedachte, was Reilly mir am Vorabend erzählt hatte. »Das heißt aber, dass sie die ganze Zeit gewusst haben müssen, wo er ist. Dass sie ihm nicht erst durch die Nachricht von seiner Ermordung auf die Spur gekommen sein können.«
Reilly nickte. »In Wirklichkeit wussten sie seit letzten Sonntag, dass Itsumi hier ist. Und sobald sie es wussten, haben sie ein Einsatzteam losgeschickt.«
Ich fragte mich, ob man Reilly auch erzählt hatte, welche Rolle ich bei der ganzen Sache gespielt hatte. »Seit letzten 304
Sonntag...?«, echote ich, pulte an den Worten herum wie an einem Loch im Zahn, weil darin noch irgendeine Bedeutung zu stecken schien, die mir entgangen war.
»Sie wussten es von Ihnen, Duane«, sagte Reilly.
Diesmal brauchte ich keine Verblüffung zu heucheln. »Von mir?« Ich bekam den Mund zu und schüttelte fassungslos den Kopf. »So ein Unsinn. Letzten Sonntag wusste ich noch nicht einmal, dass es diesen Anwalt gab.«
»Aber Sie haben mit Gabriel Whitewater telefoniert und ihm erzählt, dass ein Asiate Sie verfolgt.«
»Was?«
Der Blick, den mir Reilly zuwarf, war verschleiert vor
Schmerz. »Ein Mann des Einsatzteams war gestern Abend bei mir. Er hat mir die Aufnahme vorgespielt.«
»Eine Aufnahme?« Das war unmöglich. Wie sollte das
möglieh sein? Wir hatten über eine Leitung gesprochen, von der niemand etwas hatte wissen können...
»Sie haben versucht, eine sichere
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