Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
die Schulen der Umgebung.
»Gut, dass Sie kommen«, sagte Miss Brannigan, nachdem
sie mit den Kindern ausgehandelt hatte, wann im Verlauf der Woche sie die Gans abholen durften, und die beiden abgezogen waren. »Der Drucker spinnt noch immer.«
»Hat sich kein Computerfreak gefunden?«, fragte ich »Ach, Sie wissen doch, ich bin nicht überzeugt, dass Freaks die richtigen Leute sind, um ernsthafte Probleme zu lösen.« Ich musste grinsen »Alles klar. Ich schau's mir an.«
»Handbücher und so weiter habe ich bereitgelegt.«
Ich stapelte die Bücher vor ihr auf die Theke. Zuoberst zu liegen kam der Roman, der mich bis vorhin aufgehalten hatte, und auf den tat sie ihre Hand und fragte: »Hat er Ihnen
gefallen?«
Ich nickte. »Auf den zweiten Anlauf hin.«
»Das wusste ich«, meinte sie zufrieden und begann, die
Bücher zurückzubuchen.
»Das Ende habe ich allerdings nicht richtig verstanden«, räumte ich ein. »Wieso er sich an das Tor seines
Widersachers kettet und alle tatenlos zusehen, wie er
verhungert.«
Ein feines Lächeln glitt über Mrs Brannigans Gesicht. »Im alten Irland«, erklärte sie, »war das die größte Schmach, die man einem Feind antun konnte – sich auf der Schwelle seines Hauses zu Tode zu hungern..«
»Ach so«, machte ich verblüfft. Meine Vorfahren mögen aus diesem Land stammen, doch in solchen Momenten merke ich, wie fremd es mir immer noch ist.
77
Nachdem die Bücher im Rückgabekorb verstaut waren –
Arbeit für die Praktikantin am nächsten Morgen –, schloss Mrs Brannigan mir das Büro auf. Das befindet sich in einem
Nebenraum, dessen schmale weiße Tur so unauffällig ist, dass ich sie die ersten vier Jahre in Dingle nie bemerkt habe.
Darauf, dass sie vor 1998 nicht da gewesen ist, könnte ich einen Eid schwören, den mir jeder Lügendetektor glauben
wurde.
Im Büro steht eine große Glasvitrine, gedrängt voll mit toten Tieren, die draußen auf den Regalen in der Bibliothek keinen Platz haben. Während ich mich vor dem Computer einrichtete, holte Mrs Brannigan den ausgestopften Fuchs, offenbar in der Absicht, ihn auch noch darin unterzubringen. Auf den ersten Blick nicht machbar.
»Wissen Sie«, sagte sie versonnen, wahrend sie vor den weit geöffneten Türflügeln der Vitrine stand und die Anordnung der leblosen Mäuse, Kaninchen und Bussarde betrachtete,
»manchmal glaube ich allen Ernstes, dass es eine Strafe Gottes war Das mit meinem Mann.«
»Wie bitte?«, sah ich irritiert hoch. Ich war schon auf der Suche nach dem hartnäckigen Druckauftrag gewesen.
»Es ist eskaliert, wissen Sie? Am Anfang waren es Tiere, die überfahren worden waren. Später Vögel, die jemand
geschossen hatte. Aber das gefiel ihm nicht Verletzungen, Schusswunden. Man kann viel flicken, natürlich, aber es
bleiben Spuren, es sieht unecht aus und so weiter. Richtig wertvoll sind nur unverletzte Präparate. Makellose
Exemplare.«
»Verstehe«, sagte ich.
Sie schob die polierten Holzständer mit den Eulen und
Tauben darauf umher in dem Versuch, Platz zu schaffen für 78
den großen Fuchs. »Er hat angefangen, lebende Tiere zu
kaufen. Als er die Garage ausgebaut hat, so riesenhaft – über den Kanal weg, bis an die hintere Grenze unseres Grundstücks, er hat sie praktisch verdoppelt – dachte ich, er baut ein Gehege.
In Wirklichkeit hat er eine Gaskammer gebaut.«
»Eine Gaskammer?«, echote ich. Hört man nicht jeden Tag.
»Nicht groß, wie ein Schrank etwa, mit Käfigen dann, die gepolstert waren. Damit die Tiere weich fallen und Federn oder Barthaare heil bleiben, verstehen Sie? Man konnte die Kammer luftdicht zumachen und an den Auspuff des Wagens
anschließen. Und das hat er gemacht, immer wieder und wieder zum Schluss war es eine Besessenheit.« Sie betrachtete die starre Menagerie hinter Glas. »So sind alle diese Tiere
gestorben. Makellos.«
Ich musterte die zahllosen gläsernen Augenpaare, die aus der Vitrine ins Leere starrten, und fühlte plötzlich eine gruselige Verwandtschaft. War mein eigenes künstliches Auge nicht
auch so etwas wie ein Glasauge? Abgesehen davon, dass es hundert Millionen mal teurer war und allerhand technischer Krimskrams dann eingebaut ist?
»Wozu erzähle ich Ihnen das alles?« Sie drehte sich um,
lächelte tapfer. »Haben Sie den Fehler schon gefunden?«
»Noch nicht, aber gleich.« Ich brauchte etwas länger als sie, ins Hier und Jetzt zurückzufinden, doch das nächste Fenster, das ich aufklickte, zeigte den wartenden
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