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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Frankfurter Würstchen anschwollen und länger wurden? Wo war da die Zensur? Nahm jemand den Gesichtsausdruck von Müttern wahr, wenn dieser Spot lief, oder die Art, wie sie gleich danach erörterten, welche »Hintern« sie bevorzugten? Mir ist dieser Spot jedenfalls aufgefallen, weil ich damals ein Mädchen war und man ihn darauf angelegt hatte, meine Aufmerksamkeit zu finden.)
    Hatte man einen Hercules-Hotdog gegessen, vergaß man ihn nie. Sehr schnell besaß der Name einen hohen Wiedererken nungswert. Ein großes Nahrungsmittelunternehmen bot Milton an, die Rechte zu kaufen und die Hotdogs in Supermärkten zu verkaufen, er aber lehnte in der falschen Annahme, Beliebtheit währe ewig, ab.
    Abgesehen davon, dass er die herkulischen Frankfurter erfunden hatte, zeigte mein Bruder wenig Interesse an dem Familienbetrieb. »Ich bin Erfinder«, sagte er. »Kein Hotdog- Verkäufer.« In Grosse Pointe schloss er sich einer Gruppe Jungen an, deren wesentlicher Zusammenhalt ihre Unbeliebt heit war. Ein warmer Samstagabend bestand für sie darin, bei meinem Bruder im Zimmer zu hocken und Escher-Drucke anzuglotzen. Stundenlang folgten sie Gestalten Treppen hinauf, die gleichzeitig hinabgingen, oder beobachteten, wie Gänse zu Fischen und wieder zu Gänsen wurden. Sie aßen Erdnussbutter-Cracker, bis sie die Zähne voller Schmiere hatten, und fragten einander das Periodensystem ab. Steve Munger, Pleitegeiers bester Freund, brachte meinen Vater mit philosophischen Thesen zur Weißglut. (»Aber wie können Sie beweisen, dass Sie existieren, Mr. Stephanides?«) Immer wenn wir meinen Bruder von der Schule abholten, sah ich ihn mit den Augen einer Fremden. Pleitegeier war lasch und freakig. Sein Körper war ein Stängel, auf dem die Tulpe seines Gehirns saß. Kam er zum Wagen, war sein Kopf oft in den Nacken gelegt, sein Blick auf die Phänomene in den Bäumen gerichtet. Er übernahm keine Stile oder Trends. Tessie kaufte ihm noch immer seine Kleider. Da er mein älterer Bruder war, bewunderte ich ihn, aber da ich seine Schwester war, fühlte ich mich ihm überlegen. Bei der Verteilung unserer jeweiligen Gaben hatte Gott mir alle wichtigen mitgegeben. Mathematische Begabung:
    Pleitegeier. Sprachbegabung: mir. Geschick beim Reparieren: Pleitegeier. Phantasie: mir. Musikalisches Talent: Pleitegeier. Aussehen: mir.
    Die Schönheit, die ich als Kind besaß, steigerte sich noch, als ich zum Mädchen heranwuchs. Es überraschte mich nicht, dass Clementine Stark mit mir Küssen üben wollte. Das wollten alle. Ältere Serviererinnen beugten sich zu mir herab, um meine Bestellung aufzunehmen. Rotgesichtige Jungen kamen an mein Pult und stammelten: »D-dein Radierer ist runtergefallen.« Sogar Tessie: Wenn sie wegen etwas böse auf mich war, sah sie zu mir hin -in meine Kleopatra-Augen - und vergaß den Anlass ihres Ärgers. Lag nicht ein ganz leises Summen in der Luft, wenn ich den Sonntagsdebattierern Getränke brachte? Onkel Pete, Jimmy Fioretos, GUS PANOS, fünfzig-, sechzig-, siebzigjährigen Männern, die über gewaltigen Bäuchen aufblickten und Gedanken hatten, die sie nicht zugeben durften? Damals in Bithynios, wo allein schon eine regelmäßige Atmung einen Junggesellen begehrt machte, hatten Männer im nämlichen Alter erfolgreich um die Hand eines Mädchens wie mich angehalten. Erinnerten sie sich an diese Tage, als sie sich da auf unseren Zweiersofas lümmelten? Dachten sie: »Wenn wir jetzt nicht in Amerika wären, könnte ich doch eventuell...«? Ich weiß es nicht. Rückblickend kann ich mich nur an eine Zeit erinnern, da die Welt tausend Augen zu haben schien, die sich lautlos öffneten, wenn ich vorbeiging. Meistens waren sie getarnt wie die geschlossenen Augen grüner Echsen in grünen Bäumen. Aber dann klappten sie auf- im Bus, in der Apotheke -, und ich spürte die Intensität dieser Blicke, das Verlangen, die Verzweiflung.
    Stundenlang bewunderte ich mein Aussehen, drehte mich vor dem Spiegel hin und her oder nahm eine entspannte Haltung ein, um herauszufinden, wie ich im wirklichen Leben aussah. Mittels eines Handspiegels konnte ich mein Profil sehen, das damals noch harmonisch war. Ich kämmte mir meine langen Haare und klaute meiner Mutter manchmal ihre Wimperntusche, um mir die Augen zu schminken. Aber zunehmend wurde mein narzisstisches Vergnügen von dem wenig reizvollen Zustand des Teichs gedämpft, in den ich blickte.
    »Er drückt sich wieder seine Pickel aus!«, beschwerte ich mich bei meiner Mutter.
    »Sei

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