Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
im Südwesten hatte sie verändert. Irgendwie war Sourmelina im Laufe ihres Lebens zur Amerikanerin geworden. Beinahe nichts vom Dorf hatte sich in ihr bewahrt. Ihre Cousine in ihrer selbst gewählten Gruft hingegen hatte es nie verlassen. Beide waren sie in den Siebzigern, doch Desdemona war eine alte, grauhaarige Witwe, die auf den Tod wartete, während Lina eine gänzlich andere Witwe, ein Hennarotschopf war, der einen Firebird fuhr und gegürtete Jeansröcke mit türkisfarbenen Schnallen trug. Nach ihrem Leben in der sexuellen Gegenkultur fand Lina die Heterosexualität meiner Eltern so drollig wie ein Spitzendeckchen. Pleitegeiers Akne bestürzte sie. Es war ihr unangenehm, die Dusche mit ihm zu teilen. Solange Sourmelina bei uns wohnte, herrschte im Haus eine gespannte Atmosphäre. Sie war in unserem Wohnzimmer so grell und fehl am Platz wie eine Vegas-Tänzerin im Ruhestand, und weil wir sie so genau aus den Augenwinkeln beobachteten, war alles, was sie tat, zu lärmend, drang ihr Zigarettenrauch in alle Ritzen, trank sie beim Essen zu viel Wein.
    Wir lernten unsere neuen Nachbarn kennen. Da waren die Picketts - Nelson, der bei der Georgia Tech Stürmer gewesen war und nun bei Parke-Davis, dem Pharmaunternehmen, arbeitete, und seine Frau Bonnie, die immerzu die wundersamen Geschichten in Guideposts las. Gegenüber wohnten Stew »Schönauge« Fiddler, ein Vertreter für Industrieteile mit einer Vorliebe für Bourbon und Bardamen, und seine Frau Mizzi, deren Haare die Farbe wie ein Stimmungsring wechselten. Am Ende der Straße wohnten Sam und Hettie Grossinger, die ersten orthodoxen Juden, denen wir jemals begegnet waren, und ihr Einzelkind Maxine, ein scheues Geigenwunderkind. Sam war allerdings lustig und Hettie laut, und sie redeten über Geld, ohne es für unhöflich zu halten, daher fühlten wir uns in ihrer Gegenwart wohl. Milt und Tessie luden die Grossingers häufig zum Essen ein, obwohl deren Speisebeschränkungen uns beständig verblüfften. Meine Mutter fuhr quer durch die ganze Stadt, um beispielsweise koscheres Fleisch zu kaufen, nur um es mit Rahmsoße zu servieren. Oder sie ließ Fleisch und Rahm einfach weg und brachte Krebspasteten auf den Tisch. Obwohl sie sich an ihre Religion hielten, waren die Grossingers eben Juden aus dem Mittleren Westen, unauffällig und anpassungswillig. Sie versteckten sich hinter ihrer Zypressenwand und stellten an Weihnachten einen Weihnachtsmann samt Lichtern auf.
    1971: Richter Stephen J. Roth vom Bezirksgericht urteilte, dass in Detroits Schulsystem de jure die Rassentrennung bestand. Er ordnete die sofortige Aufhebung der Rassentrennung an den Schulen an. Es gab nur ein Problem.
    1971 waren Detroits Schüler zu achtzig Prozent schwarz.
    »Dieser Richter kann die Leute so lange in Bussen rumfahren, wie er will«, höhnte Milton, als er über die Entscheidung in der Zeitung las. »Das ändert doch gar nichts. Siehst du, Tessie? Verstehst du jetzt, warum dein lieber alter Gatte die Kinder aus diesem Schulsystem raushaben wollte? Wenn ich da nichts getan hätte, dann würde dieser verdammte Roth sie bis nach Nairobi karren, deshalb.«
    1972: S. Miyamoto, einen Meter fünfundsechzig groß, von der Detroiter Polizei abgelehnt, weil er die Mindestgröße von einem Meter siebzig nicht erreichte (er hatte es mit Plateauschuhen usw. versucht), trat in der Tonight Show auf, um seinen Fall vorzutragen. Ich selbst schrieb einen Brief an den Polizeipräsidenten, um Miyamoto zu unterstützen, erhielt aber keine Antwort, und Miyamoto wurde wieder abgelehnt. Ein paar Monate später fiel Polizeipräsident Nichols bei einer Parade von seinem Pferd. »Das kommt davon!«, sagte ich.
    1972: H. D. Jackson und L. D. Moore, die einen Prozess über vier Millionen Dollar wegen brutaler Übergriffe der Polizei angestrengt hatten, entführten eine Maschine der Southern Airways nach Kuba aus Empörung darüber, dass sie nur fünfundzwanzig Dollar Schmerzensgeld erhalten hatten.
    1972: Bürgermeister Roman Gribbs behauptete, Detroit habe sich gewandelt. Die Stadt habe das von den Krawallen '67 ausgelöste Trauma überwunden. Daher beabsichtige er, sich nicht noch einmal zur Wahl zu stellen. Ein neuer Kandidat trat an, der Mann, der Detroits erster afroamerikanischer Bürgermeister werden sollte, Coleman A. Young.
    Und ich wurde zwölf.
    Einige Monate davor, am ersten Tag in der Sechsten, betrat Carol Horning das Klassenzimmer, ein feines, aber unmissverständlich selbstzufriedenes Lächeln im

Weitere Kostenlose Bücher