Midkemia Saga 04 - Dunkel über Sethanon
schuldeten ihm Geld -, beteiligte er sich an der Spötterei, die der verdammte Mann auf dem Weg in seinen Tod über sich ergehen lassen mußte.
Aus welchem Grunde auch immer, ob es nur ein Wink des Schicksals oder der trockene Humor eines Gottes war, blieb der Verurteilte stehen und blickte meinem Vater ins Gesicht. Bei so vielen, die ihn quälten und verspotteten, richtete er seinen Blick ausgerechnet auf diesen einfachen Kaufmann. Vielleicht war dieser Mann ein Zauberer, vielleicht war es auch nur der Fluch eines sterbenden Mannes. Doch von all jenen auf der Prachtstraße verfluchte er ausgerechnet meinen Vater. Es war ein seltsamer Fluch, den mein Vater als Phantasterei eines Mannes abtat, der vor Angst wahnsinnig geworden war.
Der Mann starb, und die Jahre vergingen, und eines Tages bemerkte mein Vater, daß er nicht mehr älter wurde. Seine Nachbarn und seine Geschäftsfreunde zeigten langsam die Spuren der Jahre, doch mein Vater sah immer noch aus wie ein Kaufmann von ungefähr vierzig Jahren. Als der Unterschied auffällig wurde, verließ mein Vater seine Heimat, bevor man ihn als Diener der dunklen Mächte brandmarken würde. Jahrelang reiste er umher. Zunächst verwendete er seine Zeit für gute Zwecke und wurde zu einem wohltuenden Gelehrten. Dann erst erfuhr er, worin der Fluch wirklich bestand. Er hatte einen schweren Unfall und mußte den größten Teil eines Jahres im Bett verbringen. Er erkannte, ihm war der Tod versagt. Selbst wenn er zu Tode verwundet war, würde er schließlich wieder genesen.
Er fing an, sich nach der Erlösung durch den Tod und nach dem Ende seiner zahllosen Tage zu sehnen. Er kehrte zurück in seine Heimat, um etwas über diesen Mann, der ihn verflucht hatte, in Erfahrung zu bringen.
Dabei entdeckte er, wie der Mythos die Wahrheit verschleierte.
Der Mann stand nunmehr im Mittelpunkt religiöser Auseinandersetzungen. Von den einen wurde er als Scharlatan betrachtet, von anderen als Bote der Götter, von wieder anderen selbst als Gott, und noch andere hielten ihn für einen dämonischen Herold der Verdammung. Diese Auseinandersetzung führte zu Kämpfen im Reich. Religionskriege sind nie eine angenehme Angelegenheit. Doch eine Sache wurde nicht vergessen: Es gab drei magische Reliquien, die zusammen mit dem toten Mann die Macht haben sollten zu heilen, Frieden zu stiften und sogar Flüche rückgängig zu machen. Soweit ich verstanden habe, handelte es sich bei diesen Reliquien um einen Stab, um einen Mantel und um einen Kelch. Mein Vater machte sich sofort auf die Suche nach den drei Gegenständen.
Die Jahrhunderte vergingen, und schließlich kam mein Vater in ein kleines Land an der Grenze des Reiches, wo man die letzte der drei Reliquien vermutete - die anderen beiden waren angeblich unwiederbringlich verlorengegangen. Das Reich befand sich in Auflösung, so wie es allen Reichen eines Tages widerfährt, und das Land war eine wilde Gegend. Auf dem Weg dorthin wurde mein Vater von Räubern überfallen, die ihn schwer verwundeten und scheinbar tot zurückließen. Doch der Fluch wartete im stillen, bereit, den Verletzten wieder zu heilen.
Er wurde von einer Frau gefunden. Ihr Ehemann war durch einen Unfall beim Fischen ums Leben gekommen und hatte sie unversorgt zurückgelassen. Mein Vater stammte von einem alten Volk mit großer Kultur und Geschichte ab, doch das Volk meiner Mutter - es wurde das Volk der Eidechse genannt - bestand sozusagen noch aus Wilden. Von einer Witwe mußte man sich dortzulande fernhalten, denn jeder, der ihr etwas gab, übernahm die Verantwortung für sie. Diese Frau, die fast nichts besaß, pflegte meinen Vater wieder gesund, und dann legte sie sich zu ihm, weil sie keinen Mann mehr hatte und weil mein Vater zu jener Zeit ein offensichtlich wohlgebildeter und möglicherweise wichtiger Mann war. Langer Rede kurzer Sinn - ich wurde gezeugt.
Mein Vater erklärte meiner Mutter seine Absichten, doch sie wußte nichts über die Reliquien, die er suchte, obwohl die Legende auch in diesem fernen Land sehr verbreitet war. Ich vermute eher, sie wollte ihren zweiten Ehemann nicht allzuweit von Zuhause fortlassen.
Also blieb mein Vater eine Zeitlang bei meiner Mutter. In dem Land, aus dem er kam, hieß es, das Kind erbe die Sünden seines Vaters, doch wie auch immer, ich verdanke es diesem Erbe, daß ich noch lebe. Mein Vater blieb lange genug, um mir seine Sprache und die Geschichte seines Landes beizubringen, dazu die Grundkenntnisse des Lesens und
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