Midnight Angel: Dunkle Bedrohung (German Edition)
Augen mit den Handballen.
»Tut mir leid « , hauchte sie und holte tief Luft. Ihr war, als hätte sie eine ganze Stunde nicht geatmet.
Es war so schrecklich. Wenn sie sehen könnte, würde sie sich jetzt leise entschuldigen, ins Badezimmer laufen und sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, sich die Hände abkühlen, Make-up auflegen, ihre Haare kämmen, all die Dinge tun, die einer Frau ermöglichen, sich der Welt nach einem niederschmetternden Erlebnis wieder zu präsentieren. Wenn sie jedoch ins Bad sausen würde, würde sie vermutlich gegen die Wand laufen und sich die Nase brechen.
Also saß sie wie immer fest.
»Allegra ?« , wiederholte er ruhig, aber mit einem Anflug von Besorgnis.
»Entschuldige « , antwortete sie atemlos. Wirklich, es gab keine Worte, um zu schildern, was passiert war. Wenn sie es versuchte, würde sie nur wie eine Verrückte klingen. »Ich, äh, hatte einen Panikanfall. Die kommen ab und zu. Ich weiß leider nie, wann .«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Bei Panikattacken ist man machtlos .« Oh, allein beim Klang seiner Stimme fühlte sie sich schon besser. Sie war so ruhig, so tief, so kraftvoll. Sie wünschte, sie könnte sie schnappen und sich daran festhalten wie an seinem Arm. Mit aller Kraft. Nichts konnte ihr passieren, solange sie diese Stimme hörte und diesen Arm festhielt.
»Komm mit « , sagte er, und ihre Hand fand seinen Arm wie das Eisen den Magneten. Er führte sie in die Küche. »Setz dich, und ich mache dir eine Tasse Tee. Wie klingt das ?«
Wundervoll.
»Großartig .« Sie schniefte. »Entschuldige, aber ich brauche ein … « Sie bekam eine Papierserviette in die Hand gedrückt, ehe sie den Satz zu Ende sprechen konnte. Sie wischte sich die Augen, schnäuzte sich die Nase und fühlte sich ein bisschen besser. Obwohl sie sicher wie eine Hexe aussah, lief er nicht schreiend davon. Das war gut.
Es klingelte – die Mikrowelle. Dann wurde etwas vor sie hingestellt. Dampfender Vanilletee. Ihr liebster.
Allegra lachte. »Du machst Tee in der Mikrowelle ?«
»Immer. Das ist einfacher und schneller. Ein Handgriff weniger .« Kurzes Schweigen. Fast konnte sie die Rädchen in seinem Kopf knirschen hören, wahrscheinlich zusammen mit seinen Zähnen. Und ganz sicher runzelte er die Stirn. Dieser Mann musste eine unglaublich energische Persönlichkeit haben, wenn sie seine Missbilligung über den Tisch hinweg spüren konnte. »Bitte, bitte sag mir nicht, dass du das Wasser für deinen Tee auf dem Herd heiß machst .«
»Äh, na ja … Doch, das tue ich .« Was dachte er denn? Dass sie ihn warm pustete? Mit einem Zauberstab darin rührte?
»Aber … Du hast einen Gasherd .« Er hauchte es mehr, als dass er es sagte; in einem entsetzten Ton, als würde er fragen: Du isst Kinder zum Frühstück?
»Ja, klar. Ich habe einen Gasherd. Immer gehabt. Mit Gas kocht es sich besser « , erklärte sie verwundert. Sie tastete nach dem Henkel der Tasse und hob sie an den Mund. Ihrem kleinen Ritual gemäß ließ sie den Dampf in ihre Nase steigen, um das Vanillearoma zu riechen und bis in den letzten Winkel einzuatmen. Dann trank sie in kleinen Schlucken. Vanilletee war vielleicht die einzige Verbesserung in ihrem Leben, seit sie erblindet war. »Ist das ein Verbrechen ?«
»Ja, wenn man blind ist « , antwortete er schroff.
Allegra versteifte sich. »Also hör mal, Blindsein heißt nicht, dass man grobmotorisch oder dumm ist. Du wirst noch merken … «
Er übertönte sie einfach. »Ein Fehlgriff, und dein Ärmel fängt Feuer, verdammte Sch… Verdammt noch mal. Oder wenn du vergisst, das Gas abzudrehen, verbrennst du dir übel die Hand. Mit einem Gasherd ist der Unfall vorprogrammiert. Du brauchst einen mit Ceranfeld. Damit wäre wenigstens ausgeschlossen, dass du bei lebendigem Leib verbrennst. Kochen mit offenem Feuer, wenn man nichts sieht, ist schwachsinnig .«
Na, das war ziemlich klar ausgedrückt. Allegra konnte es nicht leiden, wenn man sie kritisierte; das brachte ihre schlimmsten Seiten zum Vorschein. Und so brach es aus ihr heraus, so zornig, wie sie es nicht einmal vor Suzanne und Claire ausgesprochen hatte.
Dabei wurde sie immer lauter, bis sie am Ende schrie. »Jetzt hör mir mal zu! Ich will kein Ceranfeld, ich will nicht Blindenschrift lernen, ich will keinen Blindenhund. Ich werde nicht mit einem weißen Stock herumlaufen, und ich werde mein Haus nicht umbauen. Ich will nicht lernen, mit der Blindheit zu leben, denn eines kannst du mir glauben:
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