Midnight Breed 02 - Gefangene des Blutes-neu-ok-10.11.11
er
scheint.“
Tess stempelte Mrs. Corellis
Scheck, den letzten Geldeingang des Tages, für die Bank ab und machte sich
daran, einen Einzahlungsschein auszufüllen.
„Soll ich das für dich auf dem
Heimweg bei der Bank einwerfen?“, fragte Nora.
„Nein. Ich mach das schon. Da
wir jetzt keine Patienten mehr haben, glaube ich, dass wir für heute einfach
mal Feierabend machen.“ Tess steckte den Einzahlungsschein in die lederne Hülle
zu den anderen. Als sie aufsah, starrte Nora sie an.
„Was ist? Stimmt was nicht?“
„Ich weiß nicht. Wer zum Teufel
bist du, und was hast du mit meiner arbeitswütigen Chefin angestellt?“
Tess zögerte, plötzlich fühlte
sie ein Schuldgefühl in sich aufkeimen. Schließlich hätte sie noch genug Ablage
zu machen, um damit einige Tage beschäftigt zu sein. Sie fragte sich, ob sie
wirklich früher - mittlerweile war es sogar pünktlich - aufhören sollte.
„Ich mach doch nur Spaß“, sagte
Nora, die schon um den Tresen geschossen kam, um Tess in den kleinen Vorraum
hinauszuscheuchen. „Geh heim. Erhol dich. Amüsier dich mal, um Himmels willen.“
Tess nickte. Sie war so dankbar,
jemanden wie Nora zu haben. „Danke. Ich weiß nicht, was ich ohne dich täte.“
„Daran erinnere dich mal, wenn
bei mir die nächste Gehaltserhöhung fällig ist.“
Tess brauchte nur ein paar
Minuten, um ihren Laborkittel abzustreifen, sich ihre Handtasche zu schnappen und
den Computer in ihrem Büro herunterzufahren. Sie verließ die Klinik und ging in
den hellen, sonnigen Nachmittag hinaus.
Sie konnte sich nicht erinnern,
wann sie zum letzten Mal Feierabend gemacht und es zur U-Bahn geschafft hatte,
bevor es dunkel wurde. Sie genoss die plötzliche Freiheit - all ihre Sinne
schienen ihr lebendiger und besser aufeinander eingespielt als je zuvor - und
ließ sich alle Zeit der Welt. Zur Bank schaffte sie es erst ein paar Minuten,
bevor sie schloss, dann nahm sie die U-Bahn in den Stadtteil North End, nach
Hause.
Ihre Wohnung war ordentlich,
aber nicht weiter spektakulär - zwei Zimmer mit Bad, so nah an der Autobahn,
dass das stete Rauschen des Verkehrs zu ihrem persönlichen Hintergrundgeräusch
geworden war. Nicht einmal das häufige Hupen ungeduldiger Autofahrer hatte sie
je wirklich gestört oder wenn unten auf der Straße vor ihrer Wohnung Bremsen
kreischten.
Bis jetzt.
Tess joggte die zwei Stockwerke
zu ihrer Wohnung hinauf, vom Straßenlärm dröhnte ihr der Kopf. Sie schloss hinter
sich ab und lehnte sich an die Tür, warf Handtasche und Schlüssel auf einen
antiken Nähmaschinentisch, den sie billig erstanden und zu einem Sideboard
umfunktioniert hatte. Sie kickte ihre braunen Ledermokassins von den Füßen und
schlenderte ins Wohnzimmer, um ihren Anrufbeantworter abzuhören und sich zu
überlegen, was sie zu Abend essen wollte.
Ben hatte noch eine Nachricht
hinterlassen. Er hatte heute Abend in North End zu tun und hoffte, dass sie
nichts dagegen hätte, wenn er bei ihr vorbeischaute, um nach ihr zu sehen,
vielleicht konnten sie ja in einem der nah gelegenen Pubs ein Bier zusammen
trinken.
Er klang so hoffnungsvoll, so
harmlos und freundlich, dass Tess’ Finger einen langen Augenblick über der
Rückruftaste schwebte. Sie wollte ihn nicht ermutigen, und es war schon dumm
genug, dass sie überhaupt versprochen hatte, mit ihm zu dieser Ausstellung im
Museum der schönen Künste zu gehen.
Die morgen Abend stattfand,
erinnerte sie sich wieder und fragte sich, ob es keine Möglichkeit gab, einen
Rückzieher zu machen. Sie wollte nicht hin, aber sie würde trotzdem hingehen.
Ben hatte extra Karten besorgt,
weil er wusste, dass sie die Bildhauerei liebte und dass die Werke einiger
ihrer Lieblingskünstler dort ausgestellt sein würden, nur für bestimmte Zeit
und bei eingeschränktem Publikumsverkehr.
Es war ein sehr aufmerksames
Geschenk, und Ben würde verletzt sein, wenn sie ihm jetzt absagte. Sie würde
mit ihm auf die Ausstellung gehen, aber es würde das letzte Mal sein, dass sie
etwas als Paar zusammen unternahmen, auch wenn sie nur gute Freunde waren.
Als sie diese Frage für sich
weitgehend geklärt hatte, schaltete Tess ihren Fernseher an und stieß auf die
Wiederholung einer alten Folge von „Friends“, dann wanderte sie in ihre
Kochnische hinüber, um sich etwas zu essen zu suchen. Sie ging direkt ans
Tiefkühlfach, ihrer üblichen Nahrungsquelle Nummer eins.
Welche orangefarbene Dose voll
tiefgekühlter Langeweile würde es denn heute
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