Midnight Breed 03 - Geschöpf der Finsternis-neu-ok-13.11.11
abgeholt?“
Diese blassvioletten Augen
begegneten seinem überraschten Blick klar und begierig. „Ich dachte, es wäre
vielleicht nützlich, und falls ja, wollte ich nicht das Risiko eingehen, dass
die Rogues es kriegen.“
Gottverdammt.
Obwohl sie es nicht sagte,
konnte Tegan sehen, dass nur Elises gute Manieren, wie man sie in den Dunklen
Häfen so wertschätzte, sie davon abhielten, ihn daran zu erinnern, wie er ihr erst
vor wenigen Stunden versichert hatte, dass es nichts gab, was sie tun konnte,
um dem Orden in diesem Krieg von Nutzen zu sein. Ob sie aus Trotz und
Verbohrtheit nach draußen gegangen war, oder deshalb, weil sie wirklich
Köpfchen hatte - jedenfalls musste er sich insgeheim eingestehen, dass diese
erstaunliche Frau wirklich voller Überraschungen steckte.
Er war froh darüber, dass sie
das Päckchen abgefangen hatte, was auch immer es enthalten mochte. Wenn die
Rogues - insbesondere ihr Anführer Marek - dieses Päckchen erwarteten, musste
es ihnen auch etwas wert sein. Die Frage war nur, warum?
Tegan zog die Schachtel heraus
und schlitzte das Klebeband mit einem der Dolche auf, die er an den Hüften
trug. Die Absenderadresse schien eine dieser Massenversandfirmen zu sein.
Wahrscheinlich sowieso
gefälscht. Gideon konnte das überprüfen, aber Tegan würde darauf wetten, dass
Marek nicht so leichtsinnig war, eine Spur zu hinterlassen, die sich
zurückverfolgen ließ.
Er kippte die Schachtel um, und
der Inhalt glitt in seine Hand. Es war ein dünnes, altes, in Leder gebundenes
Buch, in Luftpolsterfolie eingeschlagen. Er schälte die luftgefüllten
Plastikkissen ab und runzelte perplex die Stirn. Es war einfach nur ein
unscheinbares Buch, und dazu noch halb leer. Eine Art Tagebuch, ein paar Seiten
bedeckt von handschriftlichen Passagen, hingekrakelt in einer Mischung von
Latein und Deutsch, wie es aussah. Der Rest war leer, mit Ausnahme einiger
ungelenker Symbole, die hie und da an die Seitenränder gekritzelt waren.
„Wie hast du es geschafft, da
ranzukommen, Elise? Musstest du unterschreiben, einen Namen hinterlassen,
irgendwas?“
„Nein. Der Angestellte wollte,
dass ich mich ausweise, aber ich habe ja nichts. In den Dunklen Häfen braucht
man so etwas nie.“
Tegan blätterte im Schnelldurchlauf
durch die vergilbten Buchseiten und sah, dass mehrfach eine Familie namens
Odolf erwähnt wurde. Der Name war ihm nicht geläufig, aber er war sich fast
sicher, dass es sich um Angehörige des Stammes handeln musste. Die meisten der
Eintragungen waren nur Wiederholungen einer Art Gedicht oder Reim. Was wollte
Marek mit so einer obskuren, unverständlichen Chronik? Es musste einen Grund
geben.
„Hast du FedEx irgendeine
Information gegeben, die dich identifizieren könnte?“, fragte er Elise.
„Nein. Ich … ähm … ich hab es
eingetauscht. Der Angestellte war bereit, mir das Päckchen für Camdens iPod zu
geben.“
Tegan sah zu ihr auf, erkannte
erst jetzt, dass sie den Heimweg ohne die Hilfe der Musik gemacht hatte, um
ihre Gabe abzuschirmen. Kein Wunder, dass sie so erschöpft gewesen war, als sie
nach Hause kam. Aber jetzt war sie das nicht mehr. Wenn sie sich unwohl fühlte,
war ihr jedenfalls nichts anzumerken.
Elise lehnte sich vor, um das
Buch zu inspizieren, auf die vorliegende Aufgabe konzentriert, mit dem gleichen
Interesse wie er, ihr Verstand hellwach und völlig bei der Sache.
„Denkst du, das Buch könnte
wichtig sein?“, fragte sie ihn, während ihre Augen über die Seite glitten, die
aufgeschlagen vor ihr lag. „Was könnte es für die Rogues bedeuten?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich bin
mir verdammt sicher, dass es dem Kerl etwas bedeutet, der sie anführt.“
„Du kennst ihn, nicht wahr?“
Tegan überlegte, ob er es
abstreiten sollte, und schließlich nickte er vage. „Ja, ich kenne ihn. Sein
Name ist Marek. Er ist Lucans älterer Bruder.“
„Ein Krieger?“
„Früher war er einer. Lucan und
ich sind damals mit Marek an unsrer Seite in die Schlacht gezogen. Wir haben
ihm unser Leben anvertraut und hätten unser Leben für ihn gegeben.“
„Und jetzt?“
„Jetzt hat sich Marek als Verräter
und Mörder erwiesen. Er ist unser Feind - nicht nur der des Ordens, sondern des
ganzen Vampirvolkes. Nur wissen es die anderen noch nicht. Mit etwas Glück
werden wir ihn erwischen, bevor er die Gelegenheit findet, seinen Plan
auszuführen - was auch immer das sein mag.“
„Und wenn der Orden versagt?“
Tegan drehte sich zu ihr um und
starrte sie an.
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