Midnight Breed 04 - Gebieterin der Dunkelheit-neu-ok-14.11.11
eine Gruppe junger
Männer hindurch, als die sich plötzlich mitten in der Bahnhofshalle zu streiten
begannen. Als Rio an ihnen vorbeiging, wurde der Wortwechsel handgreiflich, und
ein dünner Junge aus der Gruppe wurde gegen einen gut gekleideten englischen
Touristen geschubst, der gerade in sein Handy jammerte und es sichtlich eilig
hatte, seinen Zug zu erreichen. Er guckte angesichts des Zusammenstoßes
finster, ging aber weiter - ohne zu bemerken, dass er gerade seine Brieftasche
an eine Bande professioneller Taschendiebe verloren hatte. Die jungen Männer
gingen mit ihrer Beute davon und verteilten sich in der Menge. Wahrscheinlich
würden sie den gleichen Trick noch ein paarmal bringen, bevor die Nacht zu Ende
war.
In einer
anderen Zeit und an einem anderen Ort wäre Rio den jugendlichen Kriminellen
vermutlich gefolgt, nur um ihnen den Kopf zurechtzurücken. Damit sie merkten,
dass die Nacht Augen hatte ... und Zähne, wenn sie denn zu großspurig waren, um
sich eine freundliche Ermahnung zu Herzen zu nehmen.
Aber er
hatte es satt, den dunklen Engel für die Menschen zu spielen, die neben seiner
Spezies her lebten. Sollten sie sich doch gegenseitig übers Ohr hauen und
umbringen. Ihm war das ehrlich gesagt egal. In der letzten Zeit gab es gar
nichts, das ihm wichtig gewesen wäre - außer seinem Treueschwur, den er seinen
Ordensbrüdern gegenüber abgelegt hatte.
Und um den
einzuhalten, hatte er sich auch mächtig ins Zeug gelegt.
Enttäuscht
hatte er sie, die Gruft im Berg nicht versiegelt, wie es ihm vor einigen
Monaten anvertraut worden war. Dieses Versäumnis war nun zu einem wirklichen
Problem geworden. Jetzt gab es eine Zeugin. Mit Fotos.
Ja, da hatte
er sich wirklich selbst übertroffen.
Nun war die
Lage genauso verkorkst, wie er selbst es war.
Eilig ging
Rio auf den Bahnhofsausgang zu, atmete die unzähligen Gerüche ein, die die Luft
um ihn herum erfüllten, und prüfte sie mit finsterer, entschlossener
Konzentration.
Beim ersten
Anflug von Wacholder und Honig blieben seine Füße wie angewurzelt stehen. Er
warf den Kopf herum und folgte der Fährte wie ein Jagdhund, den man auf
waidwundes Wild gehetzt hat. Die Duftspur Frau, die er suchte, war frisch - zu
frisch. Sie musste ganz in der Nähe sein.
Madre de
Dios.
Die Frau,
die er jagte, war hier, im Bahnhof.
„Bist du
sicher, dass du auch zurechtkommst, so ganz allein? Ich habe kein gutes Gefühl dabei,
dich einfach hier zulassen.“
„Kein
Problem.“
Dylan
umarmte Janet und die beiden anderen Frauen schnell. Die Gruppe stand im Prager
Hauptbahnhof. Selbst um diese späte Zeit herrschte hier großer Betrieb, das
Gebäude im Art-deco-Stil wimmelte von Reisenden, Bettlern und zahlreichen
Obdachlosen.
„Was, wenn
dir etwas passiert?“, fragte Janet. „Deine Mama würde uns das nie verzeihen -
und ich mir selbst auch nicht -, wenn du einen Unfall hast oder dich verläufst
oder überfallen wirst.“
„Zweiunddreißig
Jahre in New York haben mich nicht umgebracht.
Da werde ich
hier einen Tag allein schon überleben.“
Marie
runzelte die Stirn. „Und was ist mit deinem Rückflug?“
„Alles schon
geregelt. Ich habe im Hotel online umgebucht.
Übermorgen
fliege ich von Prag aus zurück.“
„Wir könnten
doch auf dich warten, Dylan.“ Nancy hievte sich ihren Rucksack über die
Schulter. „Vielleicht sollten wir Wien einfach sausen lassen und auch umbuchen,
damit wir alle zusammen nach Hause fliegen können.“
„Ja“, meinte
Marie. „Vielleicht sollten wir das.“
Dylan
schüttelte den Kopf. „Auf gar keinen Fall. Ihr müsst nicht den letzten Tag
eurer Reise damit verbringen, den Babysitter für mich zu spielen, wenn es doch
gar nicht nötig ist. Ich bin ein großes Mädchen.
Nichts wird
passieren. Geht nur, es wird schon alles glatt gehen.“
„Bist du
sicher, Liebes?“
„Absolut.
Amüsiert euch gut in Wien. Ich sehe euch in ein paar Tagen zu Hause in den
Staaten.“
Erst nachdem
sie das Ganze noch einmal von vorn durchgespielt hatten, waren die drei
besorgten Frauen endlich überzeugt und auf den Weg zu ihrem Bahnsteig. Dylan
begleitete sie, wartete, bis sie in den Zug gestiegen waren, und sah dem Zug
nach, als er aus dem Bahnhof rollte. Dann drehte sie sich um und ging davon, so
wie viele andere hier, die heute Abend ihre Lieben zum Zug gebracht hatten.
Als sie auf
den Ausgang des Bahnhofs zuging, hatte sie plötzlich das Gefühl, beobachtet zu
werden. Jetzt war sie also schon paranoid, kein Wunder, so
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