Midnight Breed 04 - Gebieterin der Dunkelheit-neu-ok-14.11.11
durchmachen musstest, Rio, und das ist mein Ernst.“
Sein Kiefer
war so hart zusammengepresst, dass eine Sehne in seinem Gesicht zuckte. Dylan
legte die kalte Kompresse neben sich aufs Bett und war sich kaum bewusst, dass
sie sich bewegte, denn ihre Sinne waren völlig auf Rio und die elektrische
Spannung fixiert, die sich dort zu sammeln schien, wo ihre Hände sich
berührten.
Sie hörte,
wie sich in ihm ein tiefes Grollen sammelte, irgendetwas zwischen einem Knurren
und einem Aufstöhnen. Sein Blick glitt zu ihrem Mund, und für eine Sekunde -
einen schnellen, flüchtigen Herzschlag lang - fragte sie sich, ob er sie küssen
würde. Sie wusste, dass sie sich jetzt zurückziehen musste. Ihre Hand von
seiner Hand nehmen musste. Alles, außer atemlos hier zu sitzen und zu warten
und sich zu wünschen - sie wünschte es sich so sehr -, dass er sich zu ihr
hinüberbeugte und ihre Lippen mit seinen streifte.
Jetzt konnte
sie sich nicht mehr zurückhalten. Sie bewegte ihre freie Hand auf sein Gesicht
zu, und plötzlich wehte ein eiskalter Luftzug sie an und drückte gegen sie,
beinahe wie eine Wand.
„Ich will
dein Mitleid nicht“, fauchte Rio mit einer Stimme, die gar nicht wie seine
eigene klang. Der rollende spanische Akzent war da wie immer, aber die Silben
waren rau, die Klangfarbe nicht mehr ganz menschlich und erinnerte sie daran,
wie wenig sie eigentlich von ihm und seiner Art verstand. Er zog seine Hand
unter ihrer hervor und stand vom Bett auf. „Dein Schnitt blutet immer noch.
Jemand muss dich versorgen. Ich kann es nicht.“
„Das wird
schon wieder“, erwiderte Dylan. Sie kam sich wie eine Idiotin vor, sich ihm
gegenüber diese Blöße gegeben zu haben. Sie schnappte sich den feuchten
Waschlappen und betupfte damit ihre Wange. „Ist nicht schlimm. Es geht mir
gut.“
Es hatte
keinen Sinn zu reden, denn es war offensichtlich, dass er ihr nicht zuhörte.
Sie sah ihm zu, wie er an den Scherben des zerbrochenen Wandspiegels vorbei ins
Wohnzimmer hinüberging. Er nahm ein schnurloses Telefon und wählte eine kurze
Tastenkombination.
„Dante? Hey.
Nein, alles in Ordnung. Aber ich ... äh ... Ist Tess da?
Ich habe
eine Bitte.“
Die paar
Minuten, die es dauerte, bis die Rettung nahte, lief Rio auf und ab wie ein
Tier im Käfig. Er blieb vom Schlafzimmer weg und beschränkte sich auf einen
kleinen Bereich nahe der Eingangstür zum Korridor. So weit weg von Dylan wie
möglich, so weit er konnte, ohne dabei fluchtartig die verdammte Wohnung zu
verlassen und draußen zu warten.
Madre de
Dios.
Er hätte sie
fast geküsst.
Und wollte
es immer noch, und sich das einzugestehen - wenn auch nur sich selbst - fühlte
sich an wie ein Volltreffer in den Magen. Dylan Alexander zu küssen würde eine
an sich schon schwierige Situation todsicher in eine absolute Katastrophe
verwandeln. Denn Rio wusste ohne den allerleisesten Zweifel, dass, wenn er
diese feurige Schöne küsste, er es nicht dabei belassen würde.
Allein der
Gedanke daran, wie ihre Lippen sich auf seine pressten, ließ seinen Puls
schneller schlagen, sein Blut schneller durch die Venen schießen. Seine Glyphen
pulsierten in den Farben seiner Begierde - in Schattierungen von dunklem
Weinrot und Gold. Und auch der andere Beweis dieser Begierde ließ sich nicht
verbergen. Sein Schwanz war hart wie Granit und war es schon seit dem Moment
gewesen, als sie so unerwartet ihre Hand auf seine gelegt hatte.
Hölle noch
mal.
Er wagte nicht,
noch einen Blick ins Schlafzimmer zu werfen, weil er befürchtete, dass er seine
Füße dann nicht mehr davon abhalten konnte, einen Satz durch die geschlossene
Glastür und mitten in Dylans Arme zu machen. Als ob sie ihn tatsächlich haben
wollte, dachte er böse. Ihm die Hand zu tätscheln war eine nette Geste gewesen,
die Art von Trost, wie ihn eine Mutter einem schmollenden Kind geben würde.
Oder noch schlimmer, das schmerzliche Mitgefühl eines mildtätigen Engels, der
einen wegen Gottes schlimmsten Missgriffen tröstete. Maldecido. Manos del
diablo. Monstruo.
Ja, er war
all diese Dinge. Und nun hatte Dylan gesehen, wie hässlich er in Wirklichkeit
war. Er musste ihr zugestehen dass sie nicht zurückgewichen war vor all dem
vernarbten Fleisch oder seinen Fängen, aber sie war schließlich aus einem
härteren Holz geschnitzt.
Aber zu
denken, dass sie seine Berührung zuließ? Dass sie nahe genug an sein zerstörtes
Gesicht herankam, dass er sie küssen konnte?
Nicht sehr wahrscheinlich.
Und dafür dankte er Gott,
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