Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
hinauf.
Dachte an
den Krieger ... Nikolai.
Er war schon
seit Stunden fort - schon fast einen halben Tag lang, aber immer noch spürte
sie seine Verachtung schwer auf sich lasten. Dass er mitangesehen hatte, wie
Jakut sich von ihr nährte, konnte sie kaum ertragen. Es war schwer gewesen,
ihre Scham zu verbergen, als er ihren Blick vom anderen Ende des Raumes
aufgefangen hatte. Sie hatte versucht, unbeteiligt, trotzig zu wirken.
Innerlich hatte sie heftig gezittert, ihr Puls hatte gedröhnt wie ein
Presslufthammer, war fast außer Kontrolle geraten.
Sie hatte
nicht gewollt, dass Nikolai sie so sah. Noch schlimmer, dass er von Jakuts
brutalen Verbrechen erfahren und ganz offensichtlich gedacht hatte, dass auch
sie daran beteiligt war. Der vernichtende, anklagende Blick, mit dem er sie
angesehen hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Was
lächerlich war.
Nikolai war
ein Stammesvampir, wie Jakut. Er war ein Vampir, genau wie Jakut. Wie Jakut
musste auch Nikolai sich von Menschen nähren, um zu überleben. Selbst mit ihrem
begrenzten Wissen über seine Spezies wusste Renata doch, dass menschliches Blut
die einzige Nahrungsquelle für Stammesvampire war. Es gab keine praktischen, vampirfreundlichen
Blutbanken, wo sie sich mal eben einen halben Liter Null-Negativ holen konnten.
Und die Jagd auf Tiere konnte Menschenblut nicht ersetzen.
Sergej Jakut
und alle übrigen Vampire wurden allesamt, vom gleichen Durst getrieben: nach
den roten Zellen des Homo sapiens, direkt aus einer offenen
Vene.
Sie waren
tödliche, wilde Kreaturen, die die meiste Zeit über wie Menschen aussahen,
denen aber in ihrem Inneren - in ihrer Seele, wenn sie denn überhaupt eine
hatten - jede Menschlichkeit fehlte. Wie sie nur hatte denken können, dass
Nikolai irgendwie anders sein sollte, war ihr selbst schleierhaft.
Aber er war
irgendwie anders gewesen, wenn auch nur ein bisschen.
Als sie im
Zwingerschuppen mit ihm gekämpft hatte - als er sie geküsst hatte, verdammt
noch mal -, war er ihr in der Tat auffällig anders erschienen als all die
anderen seiner Art, die sie kannte. Überhaupt nicht wie Jakut. Auch nicht wie
Lex.
Was wohl nur
wieder zeigte, was für eine Idiotin sie doch war.
Und schwach
war sie auch. Wie konnte sie sich sonst erklären, dass sie sich so sehnlich
gewünscht hatte, dass Nikolai sie hier herausholte, als er heute gegangen war?
Sie gestattete sich nicht oft vergebliche Hoffnungen oder verschwendete Zeit
damit, sich Dinge vorzustellen, die niemals geschehen konnten. Aber es hatte
einen Augenblick gegeben ... einen kurzen, selbstsüchtigen Augenblick lang
hatte sie sich vorgestellt, dass sie Sergej Jakuts Macht entrissen wurde.
Einen
Augenblick lang hatte sie sich ohne jede Hemmung gefragt, wie es sich wohl
anfühlen würde, frei von ihm zu sein, frei von allem, das sie hier hielt ...
und das Gefühl war einfach unbeschreiblich gewesen.
Beschämt von
ihren Gedanken schwang Renata ihre Beine über die Bettkante und setzte sich
auf. Keine Minute konnte sie länger hier liegen bleiben, nicht, solange sich
ihr der Kopf vor Gedanken drehte, die sie in keiner Weise weiterbrachten.
Tatsache war
nun einmal, dass das hier ihr Leben war.
Jakuts Welt
war ihre Welt, das Jagdhaus und seine unzähligen hässlichen Geheimnisse waren
ihre Wirklichkeit, die sie nicht abschütteln konnte. Anfällig für Selbstmitleid
war sie nicht, noch nie gewesen. Nicht damals als Kind in all den Jahren im
klösterlichen Waisenhaus, und nicht an dem Tag, als man sie mit vierzehn Jahren
gezwungen hatte, ihr Zuhause bei den barmherzigen Schwestern für immer zu
verlassen.
Nicht einmal
in jener Nacht vor erst zwei Sommern, als man sie von den Straßen von Montreal
entführt, mit einer Gruppe anderer verängstigter Menschen auf Sergej Jakuts
Anwesen gebracht und in die vergitterten Stallboxen im Schuppen eingesperrt
hatte.
In all
dieser Zeit halte sie keine einzelne Träne des Selbstmitleids vergossen. Und
verdammt noch mal, damit wollte sie auch jetzt nicht anfangen.
Renata stand
auf und verließ ihr bescheidenes Quartier. Um diese Zeit war es im Jagdhaus
ruhig, die wenigen Fenster dicht vor den tödlichen Sonnenstrahlen verschlossen.
Renata zog die dicke, eiserne Querstange aus der Vordertür und trat in einen
herrlich warmen und strahlenden Sommernachmittag hinaus.
Sie ging
direkt zum Zwingerschuppen.
Bei dem
ganzen Drama der letzten Nacht, mit Nikolai und danach, hatte sie völlig
vergessen, ihre Klingen hereinzuholen. Diese
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