Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
wenn auch
nicht völlig monogam. Reichen wusste, dass es in Helenes Leben noch andere
Männer gab - menschliche Männer -, so, wie auch er sich gelegentlich mit
anderen Frauen vergnügte. Ihre Beziehung war nicht von Eifersucht oder
Besitzansprüchen belastet. Aber das bedeutete nicht, dass es zwischen ihnen
keine Zuneigung gab. Sie bedeuteten einander viel, und es verband sie ein
Vertrauen, das die Schranken überwand, die Beziehungen zwischen gewöhnlichen
Menschen und Stammesvampiren normalerweise unmöglich machten.
Helene war
eine Freundin für ihn geworden und, seit Neuestem, ein unentbehrlicher Partner
für Reichens wichtige Zusammenarbeit mit den Kriegern in Boston.
Helene ging
um den Stuhl herum nach vorne und setzte sich auf die breite Armlehne. „Hast du
dem Orden die Neuigkeiten über das Attentat in Paris mitgeteilt?"
Reichen
nickte. „Das habe ich, ja. Und sie sagten mir, dass es vor einigen Nächten auch
in Montreal einen Mordversuch gegeben hat. Immerhin war der wie durch ein
Wunder erfolglos. Aber es wird weitere geben. Ich fürchte, dass es noch sehr
viel mehr Tote geben wird, bis es uns gelingt, die Sache unter Kontrolle zu
bekommen. Der Orden ist davon überzeugt, dass sie diesem Wahnsinn Einhalt
gebieten können, aber manchmal frage ich mich, ob das Böse, das hier am Werk
ist, nicht größer ist als alles Gute auf der Welt."
„Du lässt
dir das alles viel zu nahegehen", sagte Helene und strich ihm beiläufig
das Haar aus der Stirn. „Weißt du, wenn du mit deiner Zeit irgendetwas
Nützliches anfangen wolltest, wärst du zu mir gekommen statt zum Orden. Ich
hätte dir einen Job in meinem Nachtclub geben können, als mein persönlicher
Assistent. Es ist noch nicht zu spät, es dir anders zu überlegen. Und ich kann
dir versichern, allein die Zusatzleistungen wären es wert."
Reichen
kicherte. „Das ist allerdings verlockend."
Helene
beugte sich zu ihm hinunter und knabberte an seinem Ohrläppchen, ihr warmer
Atem kitzelte auf seiner Haut. „Es wäre natürlich nur eine befristete Stelle.
So in etwa auf zwanzig oder dreißig Jahre - für dich vergehen die wie im Flug.
Aber ich bin dann grau und runzelig, und du wirst dich nach einem neuen,
reizvolleren Spielzeug umsehen, nach einer, die immer noch mit deinen
verruchten Ansprüchen mithalten kann."
Reichen war
überrascht, einen Anflug von Wehmut in Helenes Stimme zu hören. Sie hatte noch
nie mit ihm über die Zukunft geredet, und er nicht mit ihr. Es war ihnen beiden
mehr oder weniger klar, dass es für sie keine Zukunft geben konnte, da sie eine
Sterbliche mit einer endlichen Lebensspanne war und er - solange er nur
UV-Strahlung und schwere körperliche Verletzungen vermied - praktisch bis in
alle Ewigkeit weiterleben konnte.
„Was
verschwendest du deine Zeit mit mir, wenn du dir doch jeden Mann der Welt
aussuchen könntest?", fragte er sie und fuhr mit den Fingern über ihre
glatte Schulter. „Du könntest einen Ehemann haben, der dich auf Händen trägt,
und einen ganzen Stall voll schöner, gescheiter Kinder."
Helene hob
eine makellos gezupfte Augenbraue. „Ich schätze, ich war nie für ein
konventionelles Leben gemacht."
Das war er
allerdings auch nicht. Reichen musste sich eingestehen, dass es sehr einfach
wäre, alles zu vergessen, was er und der Orden vor einigen Monaten entdeckt
hatten. Er konnte das Böse vergessen, das sie bis zu der Berghöhle in der
Böhmischen Schweiz verfolgt hatten. Er konnte sich vormachen, dass nichts von
alldem existierte, konnte sein Wort, dass er den Kriegern auf jede ihm nur
mögliche Weise helfen wollte, brechen. Es wäre die einfachste Sache der Welt,
zu seiner Rolle als Leiter des Dunklen Hafens und seinem alten, sorglosen,
libertinären Leben zurückzukehren.
Aber die
einfache Wahrheit war, dass ihm dieser Lebensstil schon seit langer Zeit
langweilig geworden war. Eine Frau hatte ihn vor langen Jahren einmal
beschuldigt, ein ewiges Kind zu sein - selbstsüchtig und verantwortungslos. Sie
hatte recht gehabt, sogar damals schon. Nein, besonders damals, als er so dumm
gewesen war, diese Frau und die Liebe, die sie ihm gegeben hatte, durch die
Finger gleiten zu lassen. Nach viel zu langen Jahrzehnten hemmungsloser
Genusssucht fühlte es sich gut an, etwas wirklich Wichtiges zu tun. Oder es
zumindest zu versuchen.
„Ich glaube
nicht, dass du heute Nacht vorbeigekommen bist, um mich mit Küssen und
attraktiven Stellenangeboten abzulenken", sagte er, denn nun spürte er,
dass Helene ernst
Weitere Kostenlose Bücher