Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
Unachtsamkeit ärgerte sie. Sie
ließ ihre Dolche sonst nie aus den Augen. Sie waren ein Teil von ihr, seit dem
Tag, als sie sie bekommen hatte.
„Dumm,
dumm", flüsterte sie vor sich hin, als sie den alten Zwinger betrat. Sie
sah zu dem Pfosten hinüber, erwartete, die Klinge, die sie nach Nikolai
geworfen hatte, dort stecken zu sehen.
Sie war nicht
da.
Sie schrie
auf, ungläubig und voller Qual. Hatte sich der Krieger ihre Klingen genommen?
Hatte er sie verdammt noch mal gestohlen? „Verdammt. Nein."
Renata
stürmte durch den Mittelgang des Gebäudes ...
und blieb
abrupt stehen, als sie den hinteren Teil des Schuppens erreichte und ihr Blick
auf den dicken Strohballen neben dem vernarbten Pfosten fiel.
Darauf,
sorgfältig zusammengefaltet und neben das Paar Schuhe gelegt, das sie letzte
Nacht ebenfalls dort zurückgelassen hatte, lag die Hülle aus Seide und Samt,
die ihre kostbaren Dolche enthielt. Sie hob sie auf, um sich zu vergewissern,
dass sie nicht leer war. Als sie das vertraute Gewicht in ihrer Handfläche
spürte, konnte sie nicht anders, sie musste lächeln. Nikolai.
Er hatte
sich für sie um die Klingen gekümmert. Hatte sie eingesammelt, sie eingewickelt
und für sie hiergelassen, als wüsste er, wie viel sie ihr bedeuteten.
Warum machte
er so was? Was wollte er mit dieser Freundlichkeit erreichen? Dachte er
womöglich, dass ihr Vertrauen so einfach zu haben war, oder hoffte er einfach
nur auf eine erneute Chance, sich ihr aufzudrängen, wie er es mit diesem Kuss
getan hatte?
Sie wollte
wirklich nicht daran denken, wie es gewesen war, Nikolai zu küssen. Wenn sie
jetzt nämlich an seinen Mund dachte, wie er auf ihrem lag, müsste sie zugeben,
dass sein Kuss, so unerwartet und unwillkommen er auch gewesen sein mochte,
alles andere als aufgezwungen war.
In Wahrheit
hatte sie den Kuss genossen.
Heilige
Muttergottes, allein schon an ihn zu denken entzündete eine langsame, flüssige
Hitze in ihrer Mitte.
Sie hatte
mehr von ihm haben wollen, obwohl all ihre Überlebensinstinkte in ihrem Körper
losgeschrillt hatten wie eine Alarmsirene - nur weg von ihm und zwar schnell.
Sie hungerte
nach ihm - vorhin und jetzt. Ein Teil von ihr, von dem sie lange gedacht hatte,
dass er erfroren und tot war, brannte nun für ihn.
Dadurch dass
sie sich das eingestand, wurde das, was er über Mira angedeutet hatte, nur umso
beunruhigender - dass er in den Augen des Kindes sich und Renata in äußerst
intimer Pose gesehen hatte.
Gott sei
Dank war er fort.
Gott sei
Dank, dass er wahrscheinlich nie wiederkam, nach allem, was er hier gesehen
hatte.
Es war lange
her, dass Renata sich hingekniet und gebetet hatte. Sie ging vor niemandem mehr
in die Knie, nicht einmal vor Jakut, wenn er in seiner entsetzlichen Bestform
war, aber jetzt senkte sie den Kopf und flehte den Himmel an, Nikolai von
diesem Ort fernzuhalten.
Weit weg von
ihr.
Da sie nicht
mehr in der Stimmung für Training war und schon gar nicht mit diesen allzu
lebhaften Erinnerungen an letzte Nacht im Kopf, schnappte Renata sich ihre
Schuhe und ging zum Haus zurück. Sie betrat das Haus, schob die Stange wieder
vor die Tür und ging dann den Gang hinunter, der zu ihrem Zimmer führte, um
dort hoffentlich wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu finden.
Noch bevor
sie bemerkte, dass Miras Tür einen Spaltbreit aufstand, spürte sie, dass etwas
nicht stimmte.
Im Zimmer
des Kindes brannte kein Licht, aber sie war wach. Renata hörte ihr leises
Stimmchen im Dunkeln, sie klagte, dass sie müde war und nicht aufstehen wollte.
Ob sie wieder Albträume hatte? Renata fühlte einen Anflug von Mitgefühl mit dem
Kind. Aber dann zischte eine andere Stimme über Miras schläfrigen Protest
hinweg, kalt und barsch, abgehackt vor Ungeduld.
„Hör auf zu
jammern und mach die Augen auf, du kleines Miststück."
Diese Stimme
kannte sie nur zu gut. Renata drückte gegen die getäfelte Tür und stieß sie
weit auf. „Was zur Hölle machst du da, Lex?"
Er stand
über Miras Bett gebeugt, hatte die Schultern des Kindes so fest gepackt, dass
es ihr wehtun musste. Sein Kopf fuhr herum, als Renata ins Zimmer kam, aber er
ließ Mira nicht los. „Ich brauche das Orakel meines Vaters. Und dir bin ich keine
Rechenschaft schuldig, also sei so gut und verpiss dich."
„Rennie, er
tut meinen Armen weh." Miras Stimme war leise, gepresst vor Schmerz.
„Augen auf,
fauchte Lex sie an. „Dann werde ich vielleicht aufhören, dir wehzutun."
„Lass sie
los, Lex." Renata blieb am
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