Mieses Karma
die Ablenkung: In diesem Moment ließ sich Casanova von einem Ast
auf Nina fallen und zerfetzte mit seinen Katzenkrallen das Kleid.
«Nehmt dieses Vieh von mir weg!», schrie Nina. Aber da war es auch schon zu spät: Das Kleid sah aus, als ob es Edward mit
den Scherenhänden in die Scherenhände gefallen wäre.
Alle starrten auf die zerfledderte Braut, während Casanova und ich uns in die Garage flüchteten und die weiteren Geschehnisse
aus sicherer Entfernung beobachteten. Dabei freute ich mich, dass unser Plan aufgegangen war.
Casanova aber war still.
«Was ist? Freuen Sie sich nicht?», fragte ich ihn.
«Mir bereitet es keine Freude, Mademoiselle Nina wehzutun», sagte er.
|181| «Mir schon», grinste ich und blickte zu Nina, die um Fassung rang.
Leider rang sie mit Erfolg. Sie entzog sich Alex’ tröstender Umarmung und sagte: «Ist doch egal, wie ich aussehe. Hauptsache,
wir heiraten.»
Die beiden lächelten sich daraufhin so innig an, dass ich mich am liebsten übergeben hätte.
Dann stiegen sie mit Lilly und meiner Mutter in die Limousine und brausten in Richtung Kirche davon.
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39. KAPITEL
«Das war kein Erfolg», stellte Casanova fest.
«Nicht wirklich», erwiderte ich.
Wir schwiegen.
«Was tun wir jetzt?», fragte er.
«Nicht aufgeben», antwortete ich.
«Gute Idee.»
«Nicht wahr?»
Wir schwiegen weiter.
«Und wie sieht das mit dem Nichtaufgeben genau aus?», fragte er.
«Nun, was das betrifft, habe ich keine Ahnung.»
Wir schwiegen wieder.
«Wir müssen zur Kirche, und dann sehen wir weiter», beschloss ich, und wir rannten los.
Als wir hechelnd an der Kirche ankamen, waren alle Gäste schon drin, und wir konnten die Kirchentür nicht öffnen. Casanova
und ich beschlossen uns daher zu trennen, um nach einem Eingang zu suchen. Er rannte links um die Kirche, |182| ich rechtsherum. Ich fand eine leicht offen stehende Tür, drückte sie auf und stand vor einer Treppe. Aus Mangel an Alternativen
hetzte ich sie hinauf – genau auf die Empore, auf der der bärtige Organist gelangweilt auf seinem Handy Tetris spielte, während
unten der Pfarrer zur alles entscheidenden «Willst du»-Frage anhob.
Jetzt wünschte ich mir, dass ich als Katze wiedergeboren worden wäre, denn dann hätte ich locker in das Kirchenschiff springen
und mir die Ringe schnappen können, ohne die die Hochzeit ja nicht möglich war.
Aber ich war nun mal keine Katze, sondern eine Hündin. Dementsprechend hatte ich auch keine biegsamen Knochen, die meinen
Fall abgefedert hätten. Ich konnte ja nicht mal genau den Altar da unten erkennen. Mein überragender Geruchssinn half mir
auch nicht sonderlich weiter. Er konnte keine Entfernungen erschnüffeln und verriet mir lediglich, dass der Organist hinter
mir nicht an den Gebrauch von Deos glaubte. Es war mir also völlig unmöglich, vorherzusagen, wo und wie ich bei einem Sprung
landen würde. Dafür dröhnte die Frage des Pfarrers gewaltig in meinen Ohren: «Willst du, Alex Weingart, diese Frau zu deiner
dir angetrauten Ehefrau nehmen?»
Das letzte Mal, als Alex diese Frage gestellt worden war, war ich die Braut an seiner Seite. Es war in der sonnendurchfluteten
Kirche San Vincenzo in Venedig, und er sah in seinem hellen Anzug einfach umwerfend aus. Ich war so hypernervös, dass ich
sogar an der falsche Stelle «ja» antwortete. Der Pastor lächelte, sagte in gebrochenem Deutsch, «Sie sind gleich dran», und
fuhr mit der Zeremonie fort. Als ich dann endlich zum richtigen Zeitpunkt zitternd «Ja, ich will», antwortete und Alex mir
den Ring überstreifte, war ich der glücklichste Mensch der Welt.
|183| Ich hatte nie jemanden so geliebt wie Alex damals.
Er war die Liebe meines Lebens – das konnte ich ganz klar sagen, war mein Leben doch schon lange vorbei.
Alex jetzt so mit Nina zu sehen machte mir schlagartig deutlich: Casanova hatte recht, ich hatte noch immer Gefühle für ihn.
Und plötzlich kullerten Tränen über meine kleine, ohnehin schon feuchte Schnauze.
Der Pastor blickte zu Alex. Nun würde er den Mund öffnen, um das verhängnisvolle Bekenntnis auszusprechen.
Ich wischte mit meiner Vorderpfote die Tränen von der Schnauze, hüpfte mit dem Mut der höchsten Verzweiflung auf die Balustrade,
spannte meine Hinterbeinmuskeln – die bei einem Beagle nicht gerade sonderlich ausgeprägt waren – aufs äußerste an und sprang.
Für wenige Sekunden befand ich mich im freien Fall und
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