Mieses Karma
Arbeitsloser mit
Bomberjacke und Springerstiefeln beschwerte sich, weil der Kartoffelsalat ungenießbar war. (Was kein Wunder war, denn Wurst-Hans
ließ sich nicht durch solch alberne Dinge wie Verfallsdaten beeinflussen.)
Der Kerl motzte: «Der Kartoffelsalat ist so eklig, wie du fett bist.»
«Besser fett als debil», konterte ich. Ich war sauer, dass er auf Marias Körper herumhackte, war sie doch so eine nette Frau
gewesen. (Dass es mittlerweile mein Körper war, hatte ich immer noch nicht ganz kapiert.)
Der Typ verengte seine Augen bedrohlich: «Ich hab keine Ahnung, was debil heißen soll, aber du bekommst gleich was aufs Maul!»
Da ich mir nicht vorstellen konnte, dass er wirklich eine Frau schlägt, sagte ich: «Komm doch!»
Das war keine gute Idee.
«Okay», sagte er.
«Okay?», fragte ich mit mulmigem Gefühl.
«Jau», erwiderte er und öffnete die Tür zur Bude mit der festen Absicht, mir eine zu langen. Dies war eine Gegend, in der
man es an Kavaliersdenken zu wünschen übrig ließ. 20
Ich schaute zu Wurst-Hans, in der Hoffnung, dass er mir |209| helfen würde, aber er blickte nur feige zur Seite und murmelte etwas von: «Ich würde mich an deiner Stelle entschuldigen.»
Da auch Deckelchen schon lange weg war – Wurst-Hans mochte es nicht, wenn er an der Bude «herumlungerte» –, stand ich nun dem aggressiven Kerl alleine gegenüber.
Gott sei Dank gibt es viele nützliche Dinge in so einem Imbiss: Ketchuptube, Wischmopp und Grillzange.
Ich nahm reflexartig die Tube und spritzte dem Typen jede Menge Curryketchup in die Augen.
Er schrie: «Dich mach ich kalt, du Schlampe!»
Ich hatte ein außerordentlich geringes Interesse daran, kaltgemacht zu werden. Daher nahm ich den Wischmopp und rammte ihn
mit meinem ganzen – beträchtlichen – Gewicht in seinen Bauch. Der Skinhead fiel mit einem dumpfen Schrei zu Boden. Ich nahm
die Grillzange, hielt sie an seinen Schoß und drohte: «Wenn du nicht abhaust, wirst du dem Führer keinen Nachwuchs zeugen
können.»
Der Skinhead nickte: «Ich verzieh mich ja», und ergriff dann die Flucht.
Ich blickte zu Wurst-Hans, der sichtlich beeindruckt war. Mit Grillzange und Ketchuptube in der Hand fragte ich: «Willst du
der Nächste sein?»
Wurst-Hans schüttelte den Kopf.
«Dann gib mir mein Geld.»
Genau das tat Wurst-Hans auch, und ich verließ mit hundertdreiundvierzig Euro und achtunddreißig Cent die Bude.
Ich hörte zwar hinter mir, wie er «Morgen feuere ich sie» murmelte, doch ich ignorierte es. Ich hatte ja nicht vor, jemals
zu diesem Imbiss zurückzukehren.
20
Aus Casanovas Erinnerungen: Um präzise zu sein, es war ein Jahrtausend, in dem man es an Kavaliersdenken zu wünschen übrig
ließ.
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|210| 45. KAPITEL
Ich ging zur nächsten Bushaltestelle und schaute mir den Weg zum Bahnhof auf dem labyrinthartigen Fahrplan an. Aber als immer
mehr Menschen von mir Sicherheitsabstand nahmen, weil ich so sehr nach Fett stank, überlegte ich, ob ich nicht lieber noch
einen Umweg über die Dusche nehmen sollte. Doch wenn ich «zu Hause» duschen gehen würde, würde ich vielleicht Deckelchen begegnen,
und das wollte ich auf keinen Fall. Ich wollte nicht in seine Augen sehen, wenn er merkte, dass seine geliebte Maria aus seinem
Leben trat. Er würde denken, dass sie ihn nicht mehr liebt.
Was war härter? Zu wissen, dass jemand einen nicht mehr liebt? Oder dass dieser Jemand zwar verstorben, aber dessen Seele
glücklich im Nirwana war?
Als der Bus ankam, stieg ich nicht ein. Stattdessen wählte ich einen anderen und fuhr zu Deckelchen.
Er öffnete die Tür und war erstaunt: «Wieso bist du schon wieder hier?»
«Das ist eine lange Geschichte», sagte ich. «Eine verdammt lange Geschichte.»
«Gut, ich höre», antwortete Deckelchen.
Ich zögerte.
«Maria …?» Deckelchen wurde mit jeder Sekunde, die ich wartete, unsicherer.
Ich wollte ihn nicht länger im Ungewissen lassen und ihm alles erklären. Aber als ich den Mund öffnete, begann ich nur zu
singen: «Ein Vogel wollte Hochzeit machen in dem grünen Walde. Fiderallala, fiderallala, fiderallalalala.»
Deckelchen schaute mich überrascht an.
Und ich war noch viel überraschter, denn das hatte ich |211| nun ganz bestimmt nicht sagen wollen, sondern: «Ich bin Kim Lange. Meine Seele ist nun im Körper von Maria …»
Ich versuchte es nochmal, doch ich sang wieder nur: «Der Sperber, der Sperber, der war der Hochzeitswerber.
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