Mieses Karma
und werkelte weiter. Dabei erinnerte er mich in seiner Hilfsbereitschaft an Alex, nur dass dieser
Mann hier so viel Ähnlichkeit mit Brad Pitt hatte wie ich im Augenblick mit Michelle Hunziker. Und obwohl er mir nett erschien,
wollte ich ihn so schnell wie möglich loswerden. Ich wollte nicht, dass er merkte, dass ich – was Seele und Geist betraf –
nicht Maria war.
«Das ist nett von dir, aber ich hätte jetzt gerne, dass du gehst», sagte ich.
«Was?», fragte der Mann recht erstaunt.
«Ich fühl mich nicht gut und möchte alleine sein. Geh nach Hause. Ich ruf dich nächste Woche an, dann geht es mir bestimmt
besser.»
«Ich wohne hier», erwiderte er verblüfft.
Ich staunte.
«Und wir sind verheiratet.»
Ich blickte mich um und stellte fest, dass auf dem Bett tatsächlich zwei Bettdecken lagen. Da hatte ich einst als Talk-Moderatorin
so viele Sendungen zu Hartz IV gemacht – und anschließend mit den Politikern bei Champagner über das mangelnde Leistungsprinzip
in unserer Gesellschaft philosophiert – |200| und erkannte nicht mal eine Sozialwohnung, wenn ich in einer war.
«Ähem … ja … entschuldige», stammelte ich und nahm einen Schluck aus dem Glas Wasser, das auf dem Tisch stand, um etwas Zeit zu gewinnen.
«Wirklich alles in Ordnung, Maria?»
«Ja, ja, mir geht es wirklich gut», ich nahm noch einen Schluck und zwang mich zu einem Lächeln, das ihn anscheinend ermutigte:
«Ich hab die Kondome gekauft. Wenn du noch willst, können wir loslegen.»
Und ich prustete ihm vor lauter Schreck das Wasser ins Gesicht.
«Uähh», sagte er.
«Uahh», dachte auch ich bei dem Gedanken, mit diesem Wildfremden in einem wildfremden Körper Sex zu haben.
Jedenfalls hatte ich in meiner Annahme total danebengelegen, dass so eine dicke Frau keinen Mann abbekommen konnte. Wie sang
doch einst Liselotte Pulver so schön? «Jedem Topf sein Deckelchen …»
Während Marias Deckelchen sich mit dem Hemdärmel das Gesicht trocknete, fragte er: «Möchtest du nicht mehr? Eben warst du
doch echt heiß.»
«Aber jetzt bin ich kalt», erwiderte ich hastig, «Und … und … und ich möchte spazieren gehen. An die frische Luft.» Ich stand vom Bett auf, schleppte mich in dem schnaufenden Körper
zur Kommode und holte mir etwas zum Anziehen heraus.
Es ist nicht ganz einfach, sich schnell anzuziehen, wenn man in einem übergewichtigen Körper steckt, aber der Blick auf die
Kondompackung beschleunigte meine Bewegungen. In meiner Hast wählte ich ein Ensemble, bestehend aus einem grünen Pulli und
einer rosa Jogginghose.
|201| Marias Deckelchen blickte sich das Ganze hilflos an, und wäre ich von der ganzen Situation nicht so überfordert gewesen, hätte
ich sicherlich Mitleid gehabt: Die Verwandlung einer heißen in eine fliehende Ehefrau war sicherlich nicht einfach zu begreifen,
geschweige denn zu verdauen.
Deckelchen fragte mich zaghaft: «Möchtest du, dass ich mitko …»
«Nein!», antwortete ich scharf und war aus der Wohnung draußen, bevor er den Mund wieder schließen konnte.
Nachdem ich die Treppe des Mietshauses runtergehechelt und durch die Tür in den Frühlingsabend getreten war, musste ich erst
mal verschnaufen. Ich schwitzte wie in einer Sauna, die man mit nervigen Typen teilt, die alle nasenlang «Und noch einen Aufguss!»
rufen.
Nachdem ich durchgeatmet hatte, blickte ich mich um: Sozialer Wohnungsbau, wohin man auch schaute. Des Weiteren fiel mir auf,
dass kaum ein Mensch auf der Straße war und dass die Plakate an einer Litfaßsäule ein Spiel des Hamburger SV ankündigten.
Hamburger SV?
Ich hatte nicht allzu viel Ahnung von Fußball, aber eins war klar: Wenn in dieser Stadt der HSV so prominent angekündigt wird,
dann befand ich mich definitiv nicht in Potsdam.
Ich versuchte mich zu beruhigen: Immerhin war es kein Ameisenhaufen, Kanada oder ein Tierversuchslabor. Von hier aus war es
sicherlich kein Problem, nach Potsdam zu gelangen. Einfach eine Zugkarte, und «zack!» bin ich da.
Dummerweise befand sich in den Taschen der Jogginghose |202| kein Geld. Und zu dem Mann mit den Kondomen wollte ich auch nicht zurück.
Fünfzehn Minuten später stand ich an der nahen Autobahnauffahrt und hielt meinen Daumen raus. Nur um festzustellen, dass kein
Autofahrer für eine übergewichtige Frau in Jogginghose anhält. Ich fragte mich, ob das Antidiskriminierungsgesetz für solche
Fälle auch einen Passus bereithält.
Geschlagen,
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