Mieses Karma
das Industriegebiet zu schauen, das kalt beleuchtet in der Nacht lag.
Dabei sah ich eine Katze über die Straße huschen. Mir war natürlich klar, dass sie nicht Casanova war, aber ich musste unwillkürlich
an ihn denken. Höchstwahrscheinlich war er immer noch wütend auf mich, weil ich dafür gesorgt hatte, dass seine Nina Alex
heiraten konnte. 21
Ich überlegte mir, was ich als Nächstes tun sollte: zu Alex und Lilly gehen? Sollte ich mich ihnen als Fremde nähern?
Und wenn ja, wie?
Ich beschloss, erst mal das Naheliegende zu tun, das heißt, mir einen Job zu suchen, schließlich hatte ich kaum noch Kohle.
Und ich wollte ja nicht als verwahrloste Obdachlose in der Nähe von unserem Haus rumlungern oder gar als solche Lilly begegnen.
Ich holte mir am nächsten Morgen eine Zeitung, suchte die Stellenanzeigen durch und geriet an das, was einige Menschen Schicksal
nennen und andere Zufall.
Es gibt verschiedene Sorten von Zufällen: Zufälle, die daherkommen wie eine Katastrophe, aber sich dann zum Guten wenden.
Zufälle, die daherkommen wie etwas Gutes |215| und dann zur Katastrophe werden. Und Zufälle, bei denen man extrem lange mit offenem Mund dasteht.
Ich meldete mich auf eine Anzeige, in der eine Putzfrau gesucht wurde – mir war klar, dass ich mit diesem Körper in meinem
ursprünglichen Beruf als Fernsehmoderatorin so bald keine Stelle bekommen würde – und die Vermittlungsagentur schickte mich
zu einer Adresse, die nur drei Straßen von unserem Haus entfernt lag.
Aber das war nicht der Zufall, der mir den Mund offen stehen ließ.
Ich ging die Auffahrt auf das Anwesen hoch – eine Vierhundert-Quadratmeter Villa aus dem vorletzten Jahrhundert –, und mir kam mein ehemaliger Chef Carstens entgegen.
Auch das war nicht der Zufall, der mir den Mund offen stehen ließ.
Natürlich erkannte mich Carstens nicht, er nickte mir nur kurz zu, stieg in sein Mercedes Cabrio und brauste davon.
Ich ging auf die Tür zu. An der Villa war kein Schild, der Besitzer war wohl gerade neu eingezogen. Ich klopfte mit dem massiven
Türklopfer. Es donnerte. Nach einer Weile des Wartens ging die Tür auf. Sie knarzte. Und ich sah … Daniel Kohn.
Das war der Zufall, der meinen Mund offen stehen ließ!
Und ich war mir nicht sicher, ob das nicht auch ein Zufall war, der in eine Katastrophe münden würde.
Daniel Kohn sagte: «Guten Tag, Sie müssen die Putzfrau sein?»
Mein Mund stand offen.
«Das ist der Augenblick, wo sie ‹Ja› sagen müssten», lächelte er.
Ich sagte gar nichts.
«Sie sind nicht sonderlich gesprächig, was?»
|216| Ich merkte, dass ich irgendetwas sagen musste, nahm alle meine Kraft zusammen und stammelte: «Frmml …»
Ich war viel zu überrascht, um ein vernünftiges Wort zu bilden.
«Kommen Sie doch erst mal rein», bot Daniel an.
Er zeigte mir seine Villa, die er gerade erst gekauft hatte, denn er hatte einen neuen Job: meinen. Carstens hatte ihm die
Moderation für meine Talkshow angeboten, nachdem er zwei Jahre lang Nachfolgerinnen getestet hatte, die Kim Lange alle nicht
das Wasser reichen konnten.
«Herzlichen Glückwunsch», gratulierte ich.
«Sie können ja doch reden», erwiderte Daniel.
«Wenn ich mir ganz viel Mühe gebe.»
Daniel lächelte und stieg die Wendeltreppe nach oben. Als ich die Stufen hinter ihm hochging, starrte ich direkt auf seinen
knackigen Po. Ich erinnerte mich an unseren Sex, wie wunderbar er gewesen war, und für eine kurze Sekunde fragte ich mich,
ob ich vielleicht mit ihm …? Nein, das war absurd: Berühmter Moderator hat Sex mit dicker Putzfrau? Das ist eine Schlagzeile, die man doch eher selten
in der «Bild» zu lesen bekommt.
Außerdem: Ich hatte doch meine Liebe zu Alex wiederentdeckt. Warum phantasierte ich hier noch wegen Daniel Kohn herum?
Meine Güte, da wird man zwei Jahre lang reinkarniert, sammelt gutes Karma, verliert es wieder, sammelt neues, und all das
ändert nichts daran, dass man seine Gefühle nicht im Griff hat. Das konnte doch einfach nicht wahr sein!
Als wir im zweiten Stockwerk ankamen, musste ich erst mal verschnaufen. Daniel bot mir eine Erfrischung aus seiner Bar an,
die in seinem Schlafzimmer stand. Dieses wiederum |217| hatte einen dezenten Hauch von Liebeshöhle: herrlicher Futon, beeindruckende Bang-&-Olufson-Stereoanlage und einen
geschmackvollen alten Spiegel an einer strategisch interessanten Stelle.
«Sind Sie sicher, dass Sie in der Lage sind, hier zu putzen?»,
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