Milano Criminale: Roman (German Edition)
Commissario habe ihn angebrüllt, diese Details hätten keinerlei Bedeutung und er solle bei den Fakten bleiben, wenn er nicht ernsthaft Probleme bekommen wolle.
Woraufhin Martinez meint, ohne Waffe und mit zittrigen Knien wie beim Tarantellatanzen habe er nicht das Geringste tun können, als dieses unfassbare Chaos über ihn hereinbrach. »Darf man in einer Zeugenaussage Chaos sagen, Dottore?« Der Agente sei völlig außer sich gewesen, denn einer der Vermummten habe ihn und weitere Passanten mit der Maschinenpistole in Schach gehalten.
Abschließend meint Martinez, man habe ihm auf der Polizeischule immer eingebläut, bloß nicht den Helden spielen zu wollen, wenn es nicht nötig sei; also habe er sich nicht gerührt.
»So ein abgerissener Bulle wie ich kann sich ja schlecht in dieser Prunkstraße der Bonzen als großer Retter aufspielen, oder?« Das aber hatte er dem Commissario wohlweislich nicht ins Gesicht gesagt, das hatte er nur gedacht.
2
Nicolosi wandert langsam umher. Zigarette im Mundwinkel, der Blick flitzt hierhin und dorthin, während er mit einem Finger glättend über den dünnen Schnurrbart fährt. Er sieht alles: die schwarzen Reifenspuren, die Patronenhülsen, die Glassplitter auf dem Bürgersteig, die zurückgelassenen Wagen. Wie ein Standbild nach dem Atomschlag, und Antonio fühlt sich zurückversetzt zu jenem Tag vor sechs Jahren. Er sieht sich um, kann aber keinen kleinen Jungen entdecken, der mit glänzenden Augen im Hauseingang steht und nur darauf wartet, ihm alles zu erzählen. Das hier ist kein Wohnviertel. Hier gibt es nur Geschäfte, Büros und Boutiquen. Auch an den Fenstern in den oberen Stockwerken kann er niemanden entdecken; in seiner Straße damals war es zugegangen wie auf dem Basar. Hier verschanzen sich alle hinter ihren Schaufenstern und warten, bis die Polizei sie befragen kommt.
Enzo Colombo, der Eigentümer des Juweliergeschäfts, hat versucht, sich mit einem Stuhl zu verteidigen. Merkwürdigerweise haben sie ihn nicht abgeknallt, sondern nur sein Schaufenster mit Schüssen zerschmettert. Zweihundert Millionen haben sie ihm abgenommen, in Form von Schmuck, Gold, Diamanten und Uhren.
Obwohl Antonio nun älter ist, rechnet er die Beute innerlich immer noch in Gehalt um, mittlerweile in sein eigenes, vierzigtausend Lire: Vierhundert Jahre müsste er arbeiten.
›Verbrechen lohnen sich, und wie‹, denkt er. Gerade er, der als Jugendlicher in einer Bar seines Viertels kellnerte, drei Stunden für fünfhundert Lire, damals der Gegenwert von zehn Espressi. Tassen spülen, Boden kehren und Aschenbecher leeren. Doch nie war er versucht gewesen, heimlich in die Kasse zu greifen, obwohl er gekonnt hätte. Sein Chef vertraute ihm, und er durfte die Kasse öffnen und den Kunden Restgeld herausgeben. Im Hause Santi schwamm man nicht im Geld, doch dieses Gebot, du darfst nicht stehlen, hatte ihm seine Mutter zur lebenslangen Mahnung eingeimpft.
»Nicht töten und nicht stehlen, Antonio: Denke stets daran, manche Gebote sind wichtiger als andere«, wiederholte sie immerzu, wobei sie sich ihrer Ketzerei wahrscheinlich nur zu bewusst war. Doch der gesunde Menschenverstand hat noch immer über das Dogma gesiegt.
Und der dieserart belehrte Antonio hatte niemals gestohlen, und sei es auch nur das Fußballbildchen eines Mitschülers. Rein gar nichts. Was das Töten anbelangt, tja, die Zeit würde zeigen, ob sein Beruf als Bulle ihn dazu zwang oder nicht.
Aus den Ermittlungen geht hervor, dass es sieben Verbrecher waren, genau wie in der Via Osoppo. Aber es fiel kein einziges Wort. Nylonstrümpfe nur bei denen, die ins Juweliergeschäft rein sind, die anderen unmaskiert. Angeber!
Vier Minuten für die gesamte Aktion und zwei Alfa Giulias quer auf der Straße, um den anderen Fluchtwagen den Weg freizuhalten und die Straße für eventuelle Verfolger abzuriegeln.
Nicolosi hört sich die Zeugenaussagen des Juweliers und eines Beamten in Zivil an, der zufällig anwesend war, dann bedeutet er Antonio, sie zu entlassen.
»Wie geht’s jetzt weiter?«, fragt der junge Mann.
»Wir fahren zurück ins Präsidium. Ich muss telefonieren.«
Santi nickt. Er weiß, dass dies die Stunde der Informanten ist. Das benutzte Waffenarsenal aus Maschinenpistolen und Halbautomatischen plus haufenweise Munition bekommt man nicht einfach im nächsten Laden. Sie müssen Unterstützung gehabt haben von jemandem, der darauf spezialisiert ist, Schießeisen in die Stadt zu schmuggeln. Davon gibt es nicht
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