Milano Criminale: Roman (German Edition)
nicht viel logischer gewesen, die Beamten und ihre Vorgesetzten mit Bravorufen zu überschütten, die unter den spöttischen Blicken der halben Welt die schwierigste Prüfung bestanden haben, die einem Polizeiapparat gestellt werden kann? Nein. Die Mehrheit – warum es verhehlen? – war tatsächlich irgendwie enttäuscht.«
Antonio zerknüllt die Zeitung und wirft sie zu Boden. Ein paar Gäste sehen ihn neugierig an, und er antwortet ihnen mit einem wütenden Blick.
Der Artikel brennt ihm auf der Seele. Er fühlt sich leer, einsam. Die Einsamkeit spürt er im Kopf, sie gräbt sich tiefer, packt ihn an der Kehle. Dabei ist die Bar voll mit Leuten.
»Aber es kommt nicht darauf an, wie viele Leute um dich herum sind«, überlegt er, »viel wichtiger ist das Wer und Wie.«
Damals in der Schule, als sie auf Eisenbänken saßen, waren Gespräche wie dieses über die Einsamkeit oder über den Sinn des Lebens an der Tagesordnung. Heute denkt er immer seltener darüber nach. Die Arbeit auf der Straße stumpft ihn ab, saugt ihn in einen fruchtwasserartigen Limbus, wo es einem umso besser geht, je weniger Fragen man stellt. Vor allem dann, wenn die Presse einem die Anstrengungen auf diese Art dankt.
Doch die Gedanken abzuschalten ist unmöglich, und ihm kommt ein Roman von Cesare Pavese in den Sinn, den er vor ein paar Jahren gelesen hat und in dem von der wohligen Frische der Einsamkeit die Rede war. Antonio spürt die Kälte, die Schauer auf dem Rücken. Von Wohlsein keine Spur.
In diesem Moment betritt Nicolosi das Lokal. Er sieht ihn und kommt an seinen Tisch.
»Was tust du hier so allein, Santi?«
»Ein Mann sollte nicht allein sein. Bitte, Commissario, setzen Sie sich doch.«
»Wo hast du denn den Spruch her?«, fragt sein Vorgesetzter.
»Das ist von einem französischen Dichter. Auf dem Gymnasium war ich geradezu besessen von seinen Werken. Ich habe seine Gedichte auswendig gelernt, um vor den Mädchen damit zu prahlen.«
»Hat es funktioniert?«
»In der Regel nicht. Sie können sich nicht vorstellen, wie sie scharenweise das Weite gesucht haben, wenn ich mit meinen Tiraden loslegte …«
»Ha, ha, ha, die Einsamkeit ist die Heimat der großen Geister.«
»Ist das von Ihnen?«
»Ich bin mir nicht sicher, vielleicht hab ich es irgendwo aufgeschnappt. Wer weiß.«
Während er spricht, fällt sein Blick auf die am Boden liegende Zeitung. Er deutet mit einem Kopfnicken darauf.
»Ärgerst du dich darüber, Santi? Wunderst du dich, dass die Presse zum Sturm bläst und die Welt gegen uns Bullen ätzt? Tja, mein Junge, die Leute sind immer auf der Seite der Bösen, wusstest du das nicht?«
Antonio fällt keine passende Erwiderung ein. Die Geschichte wiederholt sich, wie nach der Via Osoppo.
»Die Leute scheinen enttäuscht zu sein, dass wir sie so schnell gefasst haben«, knurrt er dann. »Das ist undankbar!«
Der Commissario bedeutet dem Kellner, ihm einen Espresso zu bringen.
»Mach dir nichts draus, Junge, merk dir, dass niemand gern für die Bullen ist. Niemals. Schon gar nicht, wenn sie gewinnen. Du wirst dich dran gewöhnen.«
Parka und P 38
1
»Das sind komplette Scheißwaffen, zu nichts zu gebrauchen!«
Prestiné stutzt. Er hat schon so einiges erlebt, in seinem Metier bekommt man es mit den verschiedensten Typen zu tun. Meist von der übelsten Sorte. Aber diese Ausdrucksweise aus dem Mund einer jungen Frau überrascht ihn dann doch. Hübsch ist sie auch noch, blonder Pferdeschwanz, enge Jeans und zwei schöne, feste Titten, die man am liebsten ordentlich durchkneten würde.
»Weg damit«, befiehlt sie.
Er packt die Kurzwaffe Kaliber .22 weg, auch die 6,35 und die 7,65 mm. Sie hat gleich erkannt, dass die Waffen alt sind. Ganz schön tough, die Kleine. Er hat sich etwas umgehört vor dem Treffen. Ohne gewisse Vorsichtsmaßnahmen tätigt er diese Art von Geschäften nicht: Könnte ja passieren, dass der Käufer sich plötzlich als Zivilbulle entpuppt …
Das Mädchen heißt Nina und kommt aus besserem Hause. Sie spielt die Revoluzzerin, läuft im Parka herum und lässt sich zwanzigmal die Jeans waschen, bevor sie sie anzieht, um näher am Volk zu sein, aber aufgewachsen ist sie im warmen Nest des Stadtteils Porta Romana im Südosten von Mailand. Bürgerliche Familie, Hausangestellte inklusive. Die Eltern stören sich nicht weiter dran: Es scheint geradezu in zu sein, Nachkommenschaft mit außerparlamentarischen Ambitionen zu haben.
›Was die nur vorhat?‹, fragt sich Prestiné. ›Aus
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