Milano Criminale: Roman (German Edition)
Rentenalter«, erklärt er jedem, der danach fragt. Um grinsend hinzuzufügen: »Außerdem, wem soll man denn noch trauen, wenn nicht den Banken?«
Obgleich Bankdirektoren für ihn auch nur Schurken sind, die immer mehr gestohlen melden, als in Wirklichkeit geklaut wurde.
Bald schon beginnt auch die Règion PACA , Frankreichs sonnendurchfluteter und blühender Süden, dem Räuber gefährlich zu werden. Sein Konterfei prangt in allen Polizeistationen, und die Schalterbeamten der Banken haben es par cœur verinnerlicht. Luftveränderung ist angesagt.
Lampis beschließt, Richtung Norden zu fahren, in die Hauptstadt. Während der Reise führt er zwei oder drei ›Abstecher‹ durch, wie er seine Raubüberfälle nennt. Er braucht mit jedem Tag mehr Geld. Nicht nur seine Frau und seine Liebhaberin saugen ihn aus, auch die Kreise, in denen er lebt und die er am Leben halten muss. Die Flucht wird immer teurer. Selbst den Flics muss er etwas geben, um sie ruhigzustellen: heute das Dupont, morgen die Rolex. Und dann die Wohnungen, die Trinkgelder, die Vorbereitungen, die gefälschten Ausweise. Einmal gibt der Solist an der Maschinenpistole sich sogar als Monsignore aus. Er hat einem Bischof die Papiere gestohlen, als dieser sich gerade von Annette den Hintern auspeitschen ließ, in Paris.
Monate voller Leben, in denen der Mailänder Gangster und seine Frauen es sich an nichts fehlen lassen. Sie werfen mit Geld nur so um sich. Die besten Hotels, die schicksten Restaurants.
Eines Abends nach einem Überfall feiern sie im Chez Maxim. Moët & Chandon und Austern. Dann kommen die Langusten in Wasserschalen, in denen Blütenblätter von Rosen und Zitronen schwimmen, die sie zügig leeren.
»Wir sind das Italien der Dummen«, ruft er aus, als der Maître ihnen erklärt, wozu das Wasser eigentlich gedacht war.
Nicolosi hat seinen Feind nicht vergessen. Im Gegenteil. Jeden Morgen schickt er einen Beamten an den Hauptbahnhof, um die ausländische Presse zu kaufen. Er spricht nicht gut Französisch, doch die Schlagzeilen des ›Figaro‹ versteht er, vor allem, wenn sie von einem Foto Lampis’ flankiert werden. Eines Tages verliert der Commissario seine sprichwörtliche Fassung, als er liest, dass der Untergetauchte in einer bewaffneten Auseinandersetzung einen Beamten verletzt hat.
»Jetzt kriegen wir ihn«, kommentiert er hitzig. »Jetzt ist er zu weit gegangen. Wenn du einen Bullen abknallst, bist du am Arsch.«
Die Prophezeiung bewahrheitet sich im September 1965, als die Ereignisse sich überschlagen.
Es ist ein frischer Tag, ein eigenartiger Duft liegt in der Luft.
»Blüten«, murmelt Antonio, als er vor der Arbeit noch auf einen Kaffee die Bar gegenüber der Questura betritt.
Als er die Tageszeitung auf dem Tisch ausbreitet, kommt ihm die Luft wieder ins Gedächtnis, die er atmete, als er zu Zeiten des Marseille-Clans Basiles Berichte verfolgte.
Heute Morgen steht die Nachricht allerdings im ›Corriere della Sera‹. Beim Lesen stellt er sich das Gesicht seines Vorgesetzten vor. Und er muss lächeln.
Der Kreis schließt sich.
Blutiges Ende einer langen Flucht
Lampis in Schießerei mit Pariser Polizei verwundet und festgenommen
Paris. Er befand sich im Auto auf einem Boulevard im Stadtzentrum, als zwei Polizeibeamte den Verbrecher und zwei seiner Komplizen, einen Belgier und einen Algerier, anhielten. Während die Komplizen sich ergaben, eröffnete Lampis das Feuer und traf einen Beamten. Seinerseits von einer Kugel getroffen, brachte der Kriminelle den Wagen eines Gendarms in seine Gewalt, wurde dann aber von einem Abschleppwagen der Polizei gerammt und musste seine Flucht zu Fuß fortsetzen. Den Blutspuren folgend, fanden die Beamten ihn schließlich in einem Hauseingang. Schwer verletzt wurde er ins Krankenhaus eingeliefert.
10
Carla lächelt und schmiegt sich sanft an Antonios Arm. Sie haben gerade den Hochzeitstermin festgelegt, den 11. März. Im Februar wird die junge Frau ihre letzte mündliche Prüfung ablegen und sich dann eine Anstellung suchen, vielleicht als Lehrerin. Doch bis dahin dauert es noch eine Weile, sie werden später alles durchdenken. Für den Moment sind es schöne Pläne, über die man beim Spazierengehen stundenlang plaudern kann. Träumen kostet schließlich nichts, selbst in dieser grauen Metropole. Und sie, mit dem Kopf immer bei Büchern und Examina, ist Idealistin.
»Ich könnte Italienisch unterrichten. Oder vielleicht Französisch«, sagt sie einmal. »Stell dir vor, wie ich
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