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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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den Schülern Paul Valéry schmackhaft mache.«
    Antonio nickt.
    »Du hast mir nie gesagt, was du eigentlich so toll an ihm findest.«
    »Das habe ich mich selbst oft gefragt. Ich glaube, es ist seine Hartnäckigkeit. Als ich zum ersten Mal ein Gedicht von ihm gelesen habe, war ich tief beeindruckt. Dann habe ich einen Blick in seine Biographie geworfen und beschlossen, ihn zu lieben. Besonders faszinierend fand ich, dass er ein Dichter mit extremem Einfühlungsvermögen war, der in seiner Jugend als Redakteur im französischen Kriegsministerium arbeiten musste. Kannst du dir vorstellen, wie der Autor von Der Friedhof am Meer Kriegsberichte bearbeitet und diesen Holzköpfen von Militärs irgendwelche Konzepte schreibt? Siehst du, so fühle ich mich ein bisschen bei der Polizei. Und ich glaube, dass diese Jahre ihn geprägt haben für das, was er später tat.«
    »Und was wirst du später tun?«
    »Ich habe keine Ahnung, aber gerade habe ich auch etwas ganz anderes im Kopf …«
    Carla wirft lachend den Kopf zurück, während er sich ihr nähert.
    »Das hier ist das wahre Gedicht, Monsieur «, flüstert er und verliert sich auf ihren Lippen.
    Nach dem Kuss lassen sie sich vom Abend einhüllen. Sie spazieren langsam zum Kino. Am Ende entscheidet sie: Sie werden Doktor Schiwago sehen. Er, der Bulle, hätte Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod vorgezogen, doch letztlich erlebt er in seinem Beruf genug Schießereien. Und es ist einiges passiert in diesem zu Ende gehenden Jahr 1965. Das mit ihnen, zum Beispiel. Und dass er befördert wurde und nun ein paar Münzen mehr in der Tasche hat. Das Adrenalin, die schützende und fast väterliche Hand, die Nicolosi über ihn hält.
    Kurz gesagt, die Entscheidung, Bulle zu werden, scheint die richtige gewesen zu sein, auch wenn sich seit jenem Morgen vor sieben Jahren alles verändert hat.
    Die Ligera zum Beispiel, die stolze Welt der verwegenen Kleinganoven, die aus Hunger stehlen und die Wehrlosen verschonen, um nur eins zu nennen. Für immer vorbei. Die Gangster von heute schießen scharf, und die Toten auf den Pflastersteinen haben alles verändert. Das angesagte Lied von Giorgio Gaber, Cerutti Gino , spiegelt nicht mehr den aktuellen Stand der Dinge wider. Die Stadt hat sich verändert, die ehrenwerte Ligera gibt es nicht mehr. Jetzt wird für Geld getötet, die Epoche der Verbrecherbanden, der kleinen Gangs hat begonnen, und es gibt kein Zurück.
    Antonio hat das am eigenen Leib erfahren, denn mit der Beförderung ist er zur mobilen Einheit der Kripo gewechselt und hat allein in den letzten fünf Tagen bereits drei Tote von der Straße aufgesammelt.
    »Woran denkst du?«, fragt ihn die junge Frau.
    »An nichts«, lügt er.
    Vor dem Kino liegt der kleine Park der Piazza Napoli. Er ist voll mit Leuten, trotz der kalten Luft. Der Polizist zündet sich eine Zigarette an und entdeckt ein Gespenst der Vergangenheit: den kleinen Gauner aus der Via Osoppo. Er kennt ihn nur vom Hörensagen, denn obwohl nicht einmal volljährig, hat er bereits ein ansehnliches Strafregister angesammelt: Roberto Vandelli. Wird er nicht sogar gerade gesucht? Er kann sich nicht erinnern … Soweit er weiß, hat er auch schon mit dem Solisten an der Maschinenpistole zusammengearbeitet, hat seine Lehrjahre hinter sich gebracht und ist nun bereit aufzusteigen. Das erkennt man an seinem entschlossenen Blick.
    Er ist groß geworden, wie sein Trupp. Sie sind nicht mehr zu dritt. Antonio zählt sechs; bei ihnen ein paar Mädchen. Leute, die nicht bei dem Fiat-Zulieferer Marelli am Fließband enden werden, so viel ist sicher. Die Straße hat sie hart gemacht in den vergangenen Jahren, und jetzt ist ihr Moment gekommen. Der erfahrene Polizistenblick sieht ihren ausgebeulten Jacken an, dass jeder von ihnen ein Schießeisen im Gürtel stecken hat.
    Minderjährige mit Waffen.
    Sein Blick kreuzt den des jugendlichen Verbrechers.
    »Was ist?«, fragt Carla. »Wen hast du gesehen?«
    »Niemanden«, winkt er ab und schiebt sie zum Eingang. »Lass uns reingehen, es geht gleich los.«
    Er wirft Vandelli einen letzten flüchtigen Blick zu, den dieser zwinkernd erwidert.
    Sie würden sich wiedersehen. Und das schon bald.

ZWEITER TEIL

DAS EINFACHE LEBEN
DER ANDEREN

Der Gangster mit den Wolfszähnen
    1
    Das Stadtviertel Barriera di Milano ist sicher kein Ort, an dem es sich gut wohnen lässt, im Gegenteil. Schon sein Name ist irreführend, denn es befindet sich nicht in Mailand, sondern in den Industriegebieten am

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