Milchbart (German Edition)
der Tür stehen und schaute sich ausgiebig im Zimmer um. Dann wandte sie sich der Wand zu, die an den Behandlungsraum von Frau Becker angrenzte.
Fanni öffnete den Bauernschrank, stieg hinein und tastete die Rückwand ab, um festzustellen, ob sie sich wegschieben oder aufklappen ließ.
»Massiv und fugenlos eingepasst«, murmelte sie, als sie wieder herauskam.
Sie befühlte die Vertäfelung hinter einem Bücherbord nach verräterischen Rillen und Vertiefungen. Nichts. Keine Ritze, kein verstecktes Scharnier.
Verstimmt marschierte sie zur Außenwand und hob nacheinander die beiden großen Aquarelle an, die links vom Fenster hingen, um dahinterspähen zu können.
Was sollten die Bilder denn verdecken – dort oben an der Wand? Ein Flugloch? Glaubst du, der Mörder hat sich in eine Fledermaus verwandelt wie Graf Dracula?
Die Erkundungstour hatte Fanni ans Fenster geführt, unter dem sich die Heizkörperverkleidung befand.
Die kann ja nicht allzu fest sitzen, dachte sie. Ventile und was weiß ich müssen ja zugänglich sein.
Sie packte den Holzrahmen, auf den ein Geflecht aus Plastik gespannt war, mit beiden Händen und rüttelte daran. Knirschend und schmatzend löste er sich aus seinen Halterungen. Vorsichtig ließ sie ihn auf den Boden gleiten, bevor sie ihn mit dem Fuß zur Seite schob, um die Nische dahinter zu inspizieren.
Der Heizkörper war etwas kleiner, als die Vertiefung zugelassen hätte. Zwischen dem linken Wandteil und dem Anschlussgestänge gab es eine Lücke, in der eine Blechdose stand.
Fanni griff ohne Zögern danach, öffnete den Deckel und fand einen USB -Stick darin. Sie angelte ihn heraus und steckte ihn ein. Die Dose stellte sie zurück, dann brachte sie die Heizkörperverkleidung wieder an.
Gewissenhaft tastete sie noch das lebensgroße Poster in der Ecke ab, auf dem die Nervenleitbahnen des Menschen abgebildet waren, um feststellen zu können, ob sich Unregelmäßigkeiten im Mauerwerk dahinter fühlen ließen. Nichts.
Schließlich begab sich Fanni zur rückwärtigen Wand des Zimmers, die von dem Paravent fast zur Hälfte verdeckt war.
Muss man sich nicht fragen, wozu in einem Behandlungsraum, in dem nur Gesprächstherapien durchgeführt werden, ein Paravent wie im Sprechzimmer eines Gynäkologen nötig ist?
Sie rückte den Sichtschutz weg, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Wie sie angenommen hatte, zeigte sich die Wand dahinter weiß gekalkt und kahl. Eigensinnig begann Fanni, sie abzuklopfen.
Herrgott noch mal, wir befinden uns in einem Neubau, nicht im Keller einer mittelalterlichen katholischen Abtei!
Der Paravent, dachte Fanni, während sie auf das Geräusch horchte, das ihre Knöchel an der Mauer verursachten, wozu er wohl dient? Vielleicht, sagte sie sich nach einigem Überlegen, ist es ja doch nötig, dass der eine oder andere Patient seine Kleidung – oder Teile davon – ablegen muss, weil sich der Therapeut an seinem Körper etwas ansehen will, Narben von Misshandlungen beispielsweise oder selbst beigebrachte Verletzungen.
Unwillkürlich erwartete sie daraufhin einen besserwisserischen Kommentar ihrer Gedankenstimme, der jedoch ausblieb.
Als Fanni sich bückte, um die Wand oberhalb der Fußbodenleiste zu inspizieren, entdeckte sie die Klappe. Sie war aus Metall und maß ungefähr fünfzig Zentimeter im Quadrat. Als Fanni dagegendrückte, ging sie auf und gab eine entsprechend große Öffnung frei.
Diese Klappen sind doch im ganzen Gebäude zu finden! Das sind die Zugänge zu den Wäscheschächten!
Fanni nickte bestätigend. Sie hatte schon hie und da beobachten können, wie eine der Putzkräfte schmutzige Bettwäsche oder benutzte Handtücher in den Wäscheschacht stopfte, der sich in einer der Abstellkammern auf ihrem Flur befand. Demnach schien es naheliegend, dass solche Schächte auch auf allen anderen Fluren eingebaut waren; weitere gab es vermutlich im Durchgang vom Speiseraum zur Küche, im Treppenhaus und neben dem Entspannungsraum, wo die Matten täglich mit frischen Laken bezogen wurden.
Aber weshalb, fragte sich Fanni irritiert, gibt es in Frau Bogners Behandlungszimmer ebenfalls einen Wäscheschacht? Ist er da nicht völlig überflüssig?
Darauf blieb ihre Gedankenstimme die Antwort vorerst schuldig.
Womöglich war dem Zimmer ursprünglich eine andere Funktion zugedacht, sinnierte Fanni weiter.
Genau , meldete sich die Gedankenstimme nun wichtigtuerisch, sicherlich war er als Teeküche vorgesehen! Oder vielleicht als Massageraum?
Fanni hatte
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