Milchfieber
rauschte.
Noch als Erwachsener bekam er jedes Mal Herzklopfen, wenn er die Plakate studierte und sein Blicke an den fast nackten Körpern der Frauen hängen blieb. Aber in dieser Nacht hatte er keinen Blick dafür. Er schob das Rad an der Eisdiele vorbei, wo er sich im Sommer gerne unter die großen Sonnenschirme setzte und drei Kugeln Eis bestellte. Seine Bestellung war mittlerweile so legendär, dass der dänische Koch, der die italienische Eisdiele − das einzig italienische in diesem Lokal war seine Frau, die neben der Theke auf einem Stuhl thronte und die Angestellten überwachte − betrieb, seine dauernd wechselnden polnischen Bedienungen gerne zu Klausi an den Tisch schickte, sobald der sich niedergelassen hatte.
Klausi studierte ausgiebig die Eiskarte, blätterte hin und her und tat sich mit der Wahl schwer.
Schließlich bestellte er immer das Gleiche: „Drei Kugeln gemischtes Eis, aber nur Vanille.“ Der Besitzer war so abgebrüht, dass er niemals darüber lachte.
Franz Schneider hatte vor zwei Monaten Konkurs anmelden müssen, sein großes Bekleidungsgeschäft war geschlossen worden. Klausi hatte im Ausverkauf noch ein paar Cordhosen erstanden. Als er während des Räumungsverkaufs durch das Geschäft gelaufen war, die leer geräumten Regale und die in einer Ecke gesammelten Schaufensterpuppen bemerkt hatte, war ihm eine Idee gekommen, die er lange zu bekämpfen versuchte. Erst nach der Geschichte mit dem Mädchen hatte er beschlossen, alle Zurückhaltung aufzugeben.
Er lehnte das Fahrrad in der nächsten Seitenstraße an eine Hausmauer und schlich sich in den Hinterhof, in dem früher die Lastwagen die Kleidungsstücke angeliefert hatten. Er drückte vorsichtig jede Klinke der großen Türen. Es war, wie er erwartet hatte: Alle waren abgeschlossen. Mittlerweile waren die Wolken am Himmel mehr geworden und die Nacht dunkler. Klausi war beruhigt. Es war so finster geworden, dass er sich in seiner dunklen Kleidung kaum von den Hauswänden abhob. Er griff in seine Jacke und holte ein kleines Stemmeisen aus der Innentasche. Er hebelte am Schloss und schob das Stemmeisen tief in die Zarge, als plötzlich die Tür aufsprang. Sie platzte schier aus dem Rahmen und fiel scheppernd auf den Boden. Klausi erstarrte. Er rannte in eine Garageneinfahrt und wartete lange, bis er sicher war, das niemand den Lärm gehört hatte. Dann schlich er sich durch das Dunkel in die offene Tür und merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte: er hatte vergessen eine Taschenlampe einzustecken. Außerdem fiel ihm sein Stemmeisen ein. Er drehte um und suchte im Hof nach seinem Werkzeug. Nach langem Suchen fand er es schließlich unter der Tür.
Er hatte sich vorgenommen, alles sehr schnell zu erledigen. Jetzt merkte er, dass die Zeit drängte. Die ab und zu vorbeifahrenden Autos leuchteten den alten Verkaufsraum aus und er wusste, er musste sich beeilen. Schnell schlich er sich durch den Raum zu der Ecke, wo die nun nicht mehr gebrauchten Schaufensterpuppen standen. Jeder andere hätte schmunzeln müssen über den Anblick. Lauter nackte, kahlköpfige Puppen in männlicher und weiblicher Ausführung standen so eng beisammen, als ob sie sich gegenseitig wärmen wollten. Klaus war enttäuscht. Er hatte erwartet, die Puppen in der Kleidung, in der sie auch im Schaufenster standen, anzutreffen. Er hatte sich die auswählen wollen, deren Gesicht und deren Kleider ihm am besten gefallen hätten. Wütend merkte er, dass er seinen schönen Plan, den er sich den ganzen Tag zurechtgelegt hatte, nicht durchführen konnte. Klausi hatte die Puppe vorsichtig nach Hause transportieren wollen. Er wollte sie in sein Schlafzimmer schmuggeln, sie sanft fragen, ob sie sich von ihm ausziehen lassen wolle, um sie dann langsam und genussvoll zu entkleiden. Er hatte einen alten Schlafanzug zurechtgelegt, mit der er seine neue Gefährtin dann vor der Kälte der Nacht schützen wollte.
Franz Schneider hatte nie genug Geld gehabt, sich verschiedene Schaufensterpuppenfrauen anzuschaffen, sie sahen alle gleich aus, es gab zur Unterscheidung nur verschiedenfarbige Perücken. Ein paar Kinderpuppen hatte er auch noch, aber die waren nur zur Dekoration da, Kinderkleidung verkaufte er nur sehr wenig. Klaus interessierte sich nicht für die Kinder und die Männer, er warf sie alle um und griff sich schließlich enttäuscht irgendeine Schaufensterpuppe. Er strich mit den Händen vorsichtig über ihren kalten Plastikkörper, verweilte an Brust und Bauch und traute
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