Milchmond (German Edition)
Joghurtcreme-Törtchen schmeckten köstlich erfrischend. »Hast du die etwa auch selber gemacht?« Schon als sie die Frage stellte, wusste sie die Antwort. »Ja, oder hast du eine solche Form schon einmal beim Konditor gesehen?«
»Was du alles kannst, ich bin sprachlos!« Sie meinte es ehrlich. Sie kam sich vor wie im Märchen. Mitten in der Woche machte er sich die Mühe, selber zu kochen und er hatte einen wirklich guten Geschmack, was das Schöne und Schöngeistige betraf. Sie hatte sich schon mehr als einmal gewundert, dass er sich für sie entschieden hatte.
Sie wusste zwar, dass sie bei den Männern Aufmerksamkeit erregte, aber da machte sie sich nichts vor, das lag in erster Linie an ihrem Äußeren, das sie geschickt zu inszenieren wusste. Klar, von Sport und Spaß und Partys verstand sie etwas. Sie hatte es sich jedoch zur fixen Idee gemacht, dass es mit ihr und Tobias auf Dauer nicht würde gut gehen können. Er war so klug und so weltmännisch. Gut, er war nicht unbedingt der Typ, der gleich bei jeder Party im Rampenlicht des weiblichen Interesses gestanden hätte. Er war eher der intellektuelle Typ. Seine hohe Stirn, die Brille, die seine Augen ein wenig größer erscheinen ließen als sie waren und der leichte Bauchansatz ließen ihn vielleicht nicht auf Anhieb attraktiv erscheinen. Dagegen machte er durch seine ausgesucht geschmackvolle Kleidung wieder Punkte gut. Er liebte es, anfangs gern ein wenig im Hintergrund bleiben zu können. Seine Stunde kam, ähnlich wie in seinen Strafprozessen, immer erst ein wenig später.
Er war sozusagen der Mann für den zweiten Blick, mit beachtlichen Nehmerqualitäten. Sie bewunderte ihn. Er ließ sich durch nichts einschüchtern und wusste seine Gegenüber mit seinem messerscharfen Verstand und seiner hanseatisch stilsicheren Ausdrucksweise in die Defensive zu drängen. Sie fühlte sich ihm meilenweit unterlegen. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie so gerne in seiner Anwesenheit mit anderen Männern kokettierte, wie, um ihm zu beweisen, wie begehrt sie war. Natürlich wusste sie ganz genau, dass sie sich etwas vormachte und dass es eigentlich lächerlich und blöd war, sich so zu verhalten. Sie wusste es und hatte sich schon hundert Mal vorgenommen, das sein zu lassen. Diesen Minderwertigkeitskomplex konnte sie jedoch einfach nicht überwinden.
»Komm, lass uns zum gemütlichen Teil übergehen. Tobias hatte den Tisch abgeräumt und das grelle Licht der Küchenzeile und des Kochblockes gelöscht. Sie verschwanden im Dunkel, als wenn ein erlöschender Theaterscheinwerfer sie aus der Szene genommen hatte.
Sie setzten sich auf die Sitzgruppe im Wohnbereich. Das Licht war hier jetzt ganz herunter gedimmt. Nur ein kleines Teelicht flackerte und warf unruhige Schatten an die Ziegelwand. Sie saßen Seite an Seite und schauten aus dem großen Fenster in die städtische Kulisse. Tobias startete die Musikanlage, und Frankieboy sang leise einen seiner Lovesongs. Tobias legte seinen Arm um sie. Sie streifte sich mit den Füßen die Pumps ab und kuschelte sich in seinen Arm.
»Haben dich die Ohrringe auf dem Dessert eigentlich an etwas erinnert?» Samtweich, mit einem erotischen Timbre in der Stimme, nahm er die Unterhaltung wieder auf. Er kam also doch zur Sache.
»Ja, das war kein Zufall, oder?«
»Natürlich nicht. Darüber wollte ich jetzt einmal mit dir reden. Weißt du..., nein, nein, lass mich bitte in Ruhe ausreden!«, wehrte er ihren Versuch ab, ihn zu unterbrechen. Sie schluckte und registrierte wieder einmal, wie das Thema, das nun kam, ihr den Hals abschnürte. Warum musste er jetzt damit anfangen, wo der Abend so schön begonnen hatte? Sie ahnte, dass der Abend den Verlauf nehmen würde, auf den sie sich eigentlich gut vorbereitet zu haben glaubte. Nun fühlte sie sich, trotz ihrer mentalen Vorbereitung, auf dem falschen Fuß getroffen.
»Ich bin sechsunddreißig«, hörte sie ihn sagen. »Ich hatte mir fest vorgenommen, mit vierzig eine Familie zu haben, mit allem was dazu gehört. Ich meine damit, eine Ehefrau, Kinder und ein Häuschen am Stadtrand. Deshalb kaufte ich seinerzeit dieses Loft, um Startkapital zu bilden. Nun habe ich langsam das Gefühl, dass mir die Zeit davonläuft. In Seefeld wurde es mir wieder überdeutlich bewusst, da hatte ich ja Zeit darüber nachzudenken. Du weißt, in der zweiten Woche, als ich mich nicht mehr auf die vereisten Pisten traute. Ich las viel und bewunderte die
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