Milchmond (German Edition)
ablenken lassen - dazu war er zu sehr Genießer. Sylvia respektierte das und fand es inzwischen auch schöner, die Unterhaltung bis nach dem Essen ruhen zu lassen. Als sie die Teller geleert hatten, blieben sie noch sitzen. Tobias mochte keine Hektik, weder beim Kochen, noch beim Essen, noch nach dem Essen. Er hob noch einmal sein Glas und als sie ihm ihres entgegenhielt, toastete er: »Auf die wundervolle Frau, die es bereits seit sechs Jahren mit mir aushält - auf den Tag genau!«
Natürlich! Jetzt fiel es ihr ein - ihr Kennenlerntag! Darauf hätte sie auch selbst kommen können. Sie schlug sich auf die Stirn. »Natürlich, Tobias, unser Kennenlerntag! Oooh, es tut mir so leid, ich habe ihn vergessen. Ich habe mich noch im Büro gefragt, ob heute etwas Besonderes wäre, weil es ungewöhnlich ist, dass du während der Woche eine Kochsession machst. Ich bin aber auch ein Blödmann!« Sie ergriff seine Hände und sah ihn zerknirscht an.
»Ich habe es mir fast gedacht. Na, es reicht ja auch, wenn einer von uns daran denkt. Es gibt übrigens gleich noch einen kleinen Nachtisch. Ich habe ihn schon fertig im Kühlschrank stehen.« Dabei war er aufgestanden und entfernte die Teller und die Bestecke. Dann zauberte er zwei kleine Teller mit verchromten Gloschen, die den Blick auf das darunter Liegende verbargen, hervor und stellte sie auf den Tisch. Er setzte sich wieder und sie sah ihn erstaunt an. »Was ist das jetzt wieder für eine Überraschung? Warmhalte-Gloschen aus dem Kühlschrank? Da bin ich aber gespannt. Was ist es denn?«
»Selber abheben und gucken!«, kam seine knappe Anweisung. Sie beugte sich interessiert vor und nahm mit spitzen Fingern die Abdeckhaube von ihrem Dessertteller. Sie hatte es geahnt, aber nun war sie doch aus dem Konzept gebracht. Vor ihr kam auf einem schwarzen Dessertteller ein herzförmiges Joghurt-Creme-Törtchen zum Vorschein. Der Teller war mit Puderzucker bestäubt und am Rand lag ein Mon chérie mit einer Kirsche dekoriert. Das, was ihr Innerstes jetzt von einer Sekunde auf die andere völlig durcheinander brachte, prangte glitzernd oben auf dem Törtchen: Zwei überdimensional dicke goldene Ringe steckten halb in der Creme. Für einen Sekundenbruchteil dachte sie an Eheringe, aber dafür waren sie zu dick. Sie mochte Tobias gar nicht ansehen, sondern sezierte das Ensemble vorsichtig mit den Fingern. Dabei bemerkte sie, dass es blitzte. Sie hielt inne und sah überrascht auf - noch einmal blitzte es.
Tobias hatte unbemerkt seine neue Digitalkamera zur Hand genommen und den Moment festgehalten. »Tobias, was ist das denn, bist du verrückt geworden?« Sie wandte sich wieder ihrem begonnenen Unterfangen zu und fischte erst den einen, dann den anderen Reif heraus. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung waren es breite Ohrringe, passend zu ihrem Weihnachtsgeschenk. Sie legte sie an den Tellerrand und leckte sich den Finger undamenhaft ab.
»Du sollst mir nicht dauernd so teure Geschenke machen, das macht mich ganz verlegen. Aber sie sind wunderhübsch. Sie nahm die beiden Schmuckstücke und spülte sie kurz unter dem Küchenwasserhahn ab, um dann in den Flur vor den Spiegel zu treten. Sie nahm ihre Perlenstecker aus den Ohrläppchen heraus und befestigte stattdessen die breiten, goldenen Minikreolen. Sie drehte und wendete ihren Kopf vor dem Spiegel und Tobias fotografierte sie noch ein paar Mal.
Sie lächelte ihn an und streckte die Arme nach ihm aus. »Ach Tobias, ich freue mich so. Die müssen zu meinem Halsreif fantastisch aussehen. Schade, dass ich ihn heute nicht trage. Du bist so großzügig. Danke!« Dann folgte ein nicht enden wollender langer Kuss. Die Überraschung war ihm wirklich gelungen. Sie freute sich, und ihm war die Freude über seinen gelungenen Coup ebenfalls anzusehen.
»Ich habe jetzt ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich nicht an dieses Datum gedacht habe. Es war aber auch so viel los heute auf der Arbeit. Aber das ist überhaupt keine Entschuldigung, schließlich hast du in deinem Job ja auch genug zu tun. Du siehst mich zerknirscht!« Sie schaute ihn reuig an. »Wie kann ich das nur wieder gut machen?«
»Ich bin sicher, dass mir da schon etwas einfallen wird - zu gegebener Zeit! Aber nun lass uns den Nachtisch genießen, sonst wird er warm.« Er zog sie hinter sich her und geleitete sie zu ihrem Platz. Vornehm, wie im guten Restaurant, schob er ihr beim Hinsetzen den Stuhl an den Tisch. Die herzförmigen
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