Milchmond (German Edition)
Es hatte Spaß gemacht, mal wieder am Boot zu arbeiten. Es zu kaufen, hatte sich als famose Idee herausgestellt. Da es ihnen gemeinsam gehörte, war es während der Segelsaison sozusagen zum Bindeglied ihrer Freundschaft geworden. Tobias erinnerte sich, dass er Prof erst relativ spät während seiner Schulzeit am Stader Gymnasium kennen lernte. Die Ehrenrunde, die er in der elften Klasse drehen musste, hatte ihn in Profs Klasse landen lassen.
Was hatte sich Mutter damals darüber aufgeregt, dass er die Versetzung nicht geschafft hatte. Er konnte sich auch noch gut an den Grund seines schulischen Versagens erinnern. Der Grund hieß Petra. Sie war ihm wie die sprichwörtliche Versuchung in Person erschienen. Sie waren etwas mehr als ein Jahr miteinander gegangen, bis sie fortzog und damit aus seinem Gesichtskreis verschwand. Darüber war Mutter überglücklich und er selbst am Boden zerstört.
Die Freundschaft mit Prof hatte nun also schon achtzehn Jahre überdauert. Auch dessen Heirat und Familiengründung hatten ihrer intensiven Verbindung keinen Abbruch getan. Die Idee mit dem Bootkauf hatte Prof. Sie waren schon zusammen in der Segel-AG und beide gute Segler.
Die schnittige kleine Segelyacht vom Typ Hurley 750 mit sieben Metern fünfzig Länge gehörte damals einem Onkel von Prof, der sie ihm für relativ kleines Geld überlassen wollte. Die Yacht war damals zehn Jahre alt und gut in Schuss. Prof war mit dem Boot durch etliche Törns vertraut und schwer begeistert. So waren sie seinerzeit, das war jetzt auch schon wieder acht Jahre her, übereingekommen, eine Eignergemeinschaft zu gründen. Auf diese Weise waren die Pflichten und die Ausgaben auf zwei Schultern verteilt und das Schiff bot ihnen während der Saison ausgiebig Gelegenheit, den Kontakt miteinander zu halten.
Doreen und die Kinder waren auch schon mit von der Partie gewesen, doch bezeichnete Doreen sich gern als geborene Landratte - Wasser war nicht unbedingt ihre Leidenschaft. Prof zuliebe erwies sie ihm jedoch ein bis zwei Mal pro Saison den Gefallen und begleitete ihn. Vom Segeln verstand sie allerdings gar nichts.
Durch die Haustür hörte Tobias die kreischende Kinderstimme von Eleonora, die sofort nach Ertönen des Gongs, einsetzte. »Ich geh schon, ich geh schon!« Die Tür wurde aufgerissen und außer Atem, mit kugelrunden Augen und den wirren, braunen Locken ihres Vaters, stand die Kleine in der Tür, reckte ihm lachend die Arme entgegen, damit er sie hochnahm.
Eigentlich war sie schon fast ein bisschen zu groß und vor allem zu schwer dazu. Tobias bückte sich, stemmte sie trotzdem hoch und trat ein. Aus dem Wohnzimmer kam ihm Doreen lächelnd entgegen. Er suchte sich mit den Füßen tastend, vorsichtig seinen Weg durch den Flur. Durch das Mädchen auf dem Arm war ihm die Sicht nach unten versperrt, aber er wusste aus Erfahrung, dass der Weg nicht unbedingt frei sein würde.
So wich er geschickt dem großen Kranwagen aus, der im Flur stand und versuchte, nicht auf die kleinen Spielzeugautos zu treten. »Hallo, mein Schatz, wie geht es dir?« »Guuuut!«, nickte ihm Eleonora kichernd zu und drückte ihm einen Schmatz auf die Wange. Sie mochte Tobias gern und war ihm gegenüber immer von ungestümer Wildheit und überbordender Zärtlichkeit. Am liebsten wollte sie immer von ihm getragen werden.
Das Kind auf dem Arm, gab er Doreen den kleinen Blumenstrauß und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Hallo Tobias, schön, dass du unsere Einladung angenommen hast. Wir haben uns ja schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Im Winter verkriechen sich immer alle Menschen in ihren Löchern und man sieht sie kaum. Aber jetzt ist endlich Frühling. Komm durch! Eleonora, komm, lass den Tobias jetzt erst einmal zu Atem kommen. Vielleicht möchte er deinen Bruder auch noch begrüßen?«
Eleonora zog eine Schnute, ließ sich dann aber von ihm ohne Protestgeschrei wieder absetzen. Hendrik, der Vier-jährige, nahm allerdings überhaupt keine Notiz von ihm. Versunken rutschte er auf den Knien durch das Wohnzimmer und schob ein kleines Auto mit mächtigem Motorengeräusch vor sich her. Dabei spritzten seine brabbelnden Lippen Schaum, so angestrengt war er bei der Sache.
»Hallo Hendrik, schau mal hier, was ich dir mitgebracht habe.« Das war das Zauberwort! Als der Lütte das Wort mitgebracht vernahm, war er auf einmal ganz da und schaute interessiert auf das rote Spielzeugauto, das Tobias ihm entgegen
Weitere Kostenlose Bücher