Milchmond (German Edition)
fordernden Zungenspitze nachzugeben, dann besann er sich. Er fasste ihre Schultern und schob sie von sich weg. »Hör auf, Katie! Was soll denn das? Das hat doch keinen Sinn.«
Erstaunt sah sie ihn an. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck in staunende Fassungslosigkeit. »Entschuldigung, ich weiß auch nicht, was mich gerade überkommen hat. Entschuldigung. Passiert nicht wieder. Tut mir Leid.« Sie stand auf und stürzte mit dem Polster in der Hand zurück ins Cockpit, von wo sie unter Deck verschwand.
Tobias blieb noch einen Augenblick wie benommen liegen. Wären ihm nicht schon vorher diese grundsätzlichen Gedanken gekommen, hätte sie ihn überrumpelt. Er wusste genau, wie er sich danach gefühlt hätte. Nein, seine Reaktion war richtig! Sein Gefühl sagte ihm ganz deutlich, dass er gerade eine Schlüsselentscheidung für sein weiteres Leben gefällt hatte. Er wollte nicht Sklave seines Sexualtriebs werden. Der schale Nachgeschmack solcher Affären war ihm noch aus früherer Zeit in lebhafter Erinnerung. Er stand auf und setzte Fock und Großsegel. Sie schlugen heftig im steifen Seewind. Dann holte er den Anker ein, das Boot setzte sich langsam rückwärts in Bewegung auf den Strand zu. Dabei drehte der Bug aus dem Wind und die Segel fierten aus. Rasch belegte er die Vorschoten und nahm dann wieder die Pinne in die Hand und holte die Großschot dicht. Das Boot legte sich gehorsam auf die Seite und nahm Fahrt auf.
Katie hatte sich etwas übergezogen und kam wieder zum Vorschein. »Könntest du bitte wieder die Pinne übernehmen, ich will mir auch etwas anziehen?« Er zeigte ihr die Landmarke, die sie ansteuern sollte, sie übernahm wortlos. Dann ging er in die Kajüte und zog sich auch etwas über. Danach setzte er sich ihr wieder gegenüber. Sie sah ihn nicht an.
»Willst du steuern oder soll ich übernehmen?«
»Nein, wenn es dir recht ist, steuere ich erst einmal!« Er hatte das Gefühl, ihr eine Erklärung zu schulden, wusste aber nicht, wie er beginnen sollte. So schwieg er. Nach einer Weile brach Katie das unangenehme Schweigen.
»Ich bin nicht attraktiv genug, stimmt's?« Er sah, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen und sich ihre Zähne in die Unterlippe gruben. Sie blickte dabei starr über ihn hinweg.
»Nein Katie, das ist es nicht. Bitte glaube mir. Du bist eine attraktive Frau! Jeder Mann würde sich gerne mit dir schmücken. Aber ich...«, er suchte nach den passenden Worten, »…mir ist klar geworden, dass mein Herz noch nicht wieder frei ist. Ich wollte dich nicht verletzen und dir etwas vorgaukeln, das ich nicht verspüre. Sei nicht verletzt. Es hat wirklich nichts mir dir zu tun, sondern mit mir. Der Tag war so schön bisher. Ich bin froh, dass du mitgekommen bist. Komm, sei nicht traurig. Ich bin einfach noch nicht in der Lage, mich wieder neu zu verlieben. Versteh das bitte! - Weiterhin Freunde?«
Er hielt ihr die Handfläche aufrecht entgegen. Erst sah sie nicht hin, aber dann schniefte sie und wischte sich mit dem Handballen eine Träne aus dem Auge. Jetzt sah sie ihn an, nickte und schlug mit der anderen Hand gegen seine. »Schwamm drüber! Ich war eine blöde Kuh. Vergiss es!«
Der Bann war gebrochen. Tobias atmete auf. Keine Sekunde bereute er, so gehandelt zu haben. Alles andere wäre einfach nicht fair Katie gegenüber gewesen.
Kapitel 9
Die unbeschwerten Sommerwochen waren schnell dahin geflogen. Für Jörg begann ab Ende August wieder der Schulbetrieb. Julia freute sich auf ihr erstes selbst verdientes Geld. Am ersten Oktober sollte es losgehen. In dem Schreiben hatte gestanden, dass ihre erste Station das Amtsgericht in Blankenese sei. Das war für sie mit dem Fahrrad schnell zu erreichen und ein gutes Omen, wie sie fand.
Sie nutzte den September, um sich intensiv auf ihre neue Stelle vorzubereiten. Als es dann ernst wurde und sie ihre Arbeit als Referendarin antrat, wurde es für sie eine herbe Umgewöhnung. Sie hatte einen festen Dienstplan einzuhalten, und ihre Tätigkeit ähnelte schon sehr dem, was sie erwarten würde, wenn sie erst Volljuristin sein würde.
Julia war während der ersten Phase ihres Referendariats, der so genannten Sozialstation, einer Richterin des Blankeneser Amtsgerichts als Assistentin zugeteilt. Die Richterin fungierte als ihre Ausbilderin und war sehr nett. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb gut. Julia bekam in dem alten Backsteingebäude ein kleines Büro zugewiesen.
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