Milchmond (German Edition)
Es folgten zwei turbulente und abwechslungsreiche Jahre. Sie durchlief mehrere Stationen während dieser Zeit und hatte so ausgiebig Gelegenheit, alle Tätigkeitsbereiche eines Volljuristen kennen zu lernen. Eine ihrer letzten Stationen war die Mitarbeit als Rechtsanwältin in der großen Anwaltssozietät Ehrmann, Eggers und Liebrecht. Dort wurde sie herzlich aufgenommen und fühlte sich wohl. Man war mit ihr so zufrieden, dass man ihr eine feste Anstellung anbot. Sie überlegte nicht lang und sagte sofort zu.
Damit war ihr ein großer Stein vom Herzen gefallen. Es war zu der Zeit nämlich nicht leicht, als junge, noch unerfahrene Anwältin überhaupt eine feste Anstellung zu finden. Außerdem war damit der Weg für ihre Hochzeit frei. Jörg hatte ihr drei Monate zuvor einen sehr romantischen Antrag gemacht. Glücklich hatte sie zugestimmt, und sie waren übereingekommen, die Hochzeit nach ihrem zweiten Staatsexamen zu feiern - vorausgesetzt, sie hatte bis dahin einen Job. Sie wollte ihrem Zukünftigen schließlich nicht auf der Tasche liegen. Ihr Einstellungsvertrag lautete auf den ersten Oktober, und so sollte im August die Trauung stattfinden.
Jörg wollte seine Zwei-Zimmer-Wohnung in Harvestehude aufgeben. Sie beschlossen, das Angebot des Maklers wahrzunehmen und ein Reihenhaus mit der Möglichkeit des Mietkaufs anzumieten. Die Immobilie lag im selben Stadtteil, in dem Jörg schon bisher gewohnt hatte. Das Gymnasium war für ihn mit dem Fahrrad zu erreichen, was ihm sehr wichtig war. Das Auto benutzte er nur bei Regen oder wenn er den Instrumenten-Anhänger der Bigband ziehen musste.
Julia konnte ihre neue Arbeitsstelle mit der S-Bahn erreichen. Die Hochzeit feierten sie mit zweiundfünfzig Gästen in einem, nur wenige Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt gelegenen, kleinen, aber exklusiven Hotel an der Elbchaussee. Die Trauung fand in der Kirche in Blankenese am Markt statt, diesem ehrwürdigen, wunderschönen Backsteinbau mit dem schlanken Turm, der das Ortsbild prägte und dessen Glockengeläut sie über die Jahre begleitet hatte. Dort war sie schon konfirmiert worden.
Julias Bruder, Johannes, und Jörgs Freund und Kollege, Sebastian Haffner, wurden ihre Trauzeugen. Vor dem Standesamt ließ es sich die Schüler-Bigband nicht nehmen, ein Ständchen zu spielen. Der Umzug in das Reihenhaus war zwar schon eine Woche vor der Trauung abgeschlossen, aber sie hatten sich vorgenommen, erst nach der Hochzeit dort auch wirklich gemeinsam zu übernachten. Bis dahin wohnte Julia noch in ihrem Elternhaus. Die letzten Tage vor dem großen Fest gestalteten sich sehr romantisch. Die Hochzeitsnacht verbrachten sie in der Hochzeitssuite - es war ein Geschenk des ausrichtenden Hotels an das Brautpaar. Erst danach zogen sie wirklich in ihr Häuschen ein. Ihre Freunde schmückten das Schlafzimmer liebevoll, quasi für die zweite Hochzeitsnacht, mit Konfetti, bunten Luftballons und Rosenblättern auf dem Bett.
Der offizielle Hauseinzug symbolisierte für Julia den Beginn ihrer Ehe mit Jörg. Sein auffällig gezwirbelter Schnauzbart war mittlerweile einem normalen, dichten Oberlippenbart gewichen. Jörg war Künstler durch und durch. Die Musik beherrschte sein Leben und Denken. Seine chaotisch-liebevolle Aura erwärmte Julias Herz von Anfang an. Überall war er beliebt - durch seine ruhige und freundliche Art schuf er, wohin er auch kam, eine friedvolle und herzliche Atmosphäre.
Sie liebte ihn, ihr Leben kam Julia vor, wie ein perfekter Traum. Wenn sie zurück dachte, so war der Traum von klein an, immer so weitergegangen: Behütete Kindheit, erfolgreiche Schulzeit, reibungsloses Studium, tolles Referendariat, prompte Anstellung, Heirat. Das Leben war bisher immer gut zu ihr, dafür war Julia zutiefst dankbar, und sie hoffte inständig, es möge immer so weitergehen.
Das Zusammenleben in ihrem neuen Heim erschien ihnen zunächst fremd und ungewohnt. Zwar hatten sie zuvor immer mal wieder einige Tage gemeinsam in Jörgs kleiner Wohnung verbracht, doch hatte Julia sich dort immer nur als Gast gefühlt.
Das neu bezogene Haus war anders. Schon beim Renovieren mit ihren Freunden stellte sich heraus, dass es nicht einfach war, ihren unterschiedlichen Geschmack unter einen Hut zu bringen. Julia besaß eine Vorliebe für moderne Eleganz. Sie mochte schöne und klar gestylte Möbel, während Jörg seinen Hang zur Romantik mit alten Möbeln zum Ausdruck brachte. So vermochte Julia nicht,
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