Milchmond (German Edition)
ihn zu überreden, seine alten Schränke und die antike Essgruppe aufzugeben. Er war sehr stolz auf seine Antiquitäten und behauptete, sie seien einfach zeitlos und ließen sich auch mit modernen Möbeln arrangieren. Das fand Julia nun ganz und gar nicht. Sie mochte keine Antiquitäten. Antik- und Flohmärkte, auf die es Jörg immer ganz besonders zog, waren ihr ein Graus.
Es dauerte eine ganze Weile bis Julia bemerkte, dass Jörg ein Meister darin war, Konflikten aus dem Weg zu gehen, indem er einfach elegant wegzutauchen wusste. Dadurch gelang es ihm, brenzligen und schwierigen Situationen mit großer Zuverlässigkeit auszuweichen. Jörg tendierte, wie viele Künstler, zu einer gewissen Unordnung. Er reagierte auf ihre diesbezüglichen Sticheleien gern mit der Bemerkung, dass Kreativität und Chaos nun einmal zusammengehörten wie das Amen zur Kirche.
Kirche war das nächste Thema. Während Jörg sich für alles Spirituelle interessierte, fühlte sich Julia Glaubensfragen gegenüber neutral eingestellt. Dies resultierte wahrscheinlich daraus, dass ihr Vater erklärter Agnostiker war und Julia sich auch nicht erinnern konnte, dass ihre Mutter sich mit ihr über dieses Thema jemals unterhalten hatte. Julia war getauft und konfirmiert worden, aber zwischen Konfirmation und Eheschließung konnte sie sich nur an wenige Kirchenbesuche erinnern.
Einer davon war der feierliche Amtsantritt von Johannes, als er vom Probst in das Pastorenamt der kleinen schleswig-holsteinischen Landgemeinde eingeführt wurde. Jörg und Johannes debattierten gern und leidenschaftlich religiöse Themen. Jörg als Esoteriker, wie er sich gern selbst bezeichnete, stellte viele von der Kirche verbreitete Lehren in Frage, was dann Johannes herausforderte. Die beiden verstanden sich aber prima, und so waren Julia und Jörg im Hause des Landpastors gern gesehene und häufige Gäste.
Die ersten beiden Jahre ihrer Ehe waren geprägt von Nestbau und Karriere. Julias Arbeit bei Ehrmann, Eggers und Liebrecht gestaltete sich unaufgeregt. Sie war mit den ihr übertragenen Fällen keinesfalls gefordert. Dies belastete sie jedoch zunächst nicht, denn sie hatte dadurch den Kopf frei, um gemeinsam mit Jörg ihr noch nicht fertig eingerichtetes Häuschen zu komplettieren.
Schon ein Jahr nach dem Einzug, machten sie von der Mietkaufoption Gebrauch und kauften das Haus. Dabei investierten sie gleich noch in eine neue Einbauküche. Da das Kochen weitgehend Julias Domäne geworden war, hatte sie sich durchsetzen können und eine moderne Küche mit klarer Linienführung in den Farbtönen Elfenbein und Palisander angeschafft. Im geräumigen Wohnzimmer beherrschte eine gelungene Kombination aus Designer-Sitzgruppe in hellem Leder und einem dazu passenden Sideboard das Bild.
Die Essgruppe war aus Jörgs Wohnung übernommen worden. Julia hatte sich nach anfänglichem Widerstand mit ihr abgefunden. Dazu hatten sie noch einen alten, aufgearbeiteten Schrank aus der Gründerzeit erstanden. Das Ensemble harmonierte gut zusammen.
Julia war überrascht darüber, wie viel Zeit Jörg mit seinen Schülern auch nachmittags, abends und an nicht wenigen Wochenenden verbrachte. Er hatte viel um die Ohren und über das Handy bekam er dauernd SMS-Nachichten. Die Bigband erreichte unter seiner Leitung ein hohes Niveau, denn seine Schülerinnen und Schüler waren mit Feuereifer bei der Sache. Die Wohnortnähe zur Schule zahlte sich daher für Jörg sehr aus.
Wiederholt ertappte sich Julia bei dem Gedanken, dass sie ihren Mann um sein inneres Feuer bei seiner Arbeit beneidete. Ihr eigener Job erschien ihr immer langweiliger. Die meisten Fälle, die sie übertragen bekam, waren Nachbarschaftsstreitereien und betrafen überwiegend baurechtliche Dinge. Wie anders hatte sie sich als Studentin die Aufgabe einer Anwältin doch ausgemalt. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie viel Biss sie noch in Freiburg besessen hatte. Jetzt wirkte ihr Leben ein wenig weichgespült. Alles drehte sich um Jörgs Schulmusik. Sie selbst machte einen Angestellten-Job, der kaum Aufsehen erregte.
In der Kanzlei hatte sie sehr geregelte Arbeitszeiten. Da sie häufig die Wochenenden ohne Jörg verbringen musste, wenn dieser für Bigband-Konzerte und Proben unterwegs war, verspürte sie oft den Wunsch, Johannes und Karen auf dem Lande zu besuchen. Anna-Lena hatte das sehnlich erwartete Geschwisterchen bekommen. Der kleine Claudius kam jetzt langsam aus der
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