Milchmond (German Edition)
immer Jeanette zum Saubermachen kam. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob sie sich ohne ihr Häuschen und ohne Garten bei ihm in der Wohnung wohl fühlen würde...
Sie räumten das Hotelzimmer am Sonntag gegen Mittag und fuhren zurück nach Hamburg, zu Tobias Wohnung. Der Nieselregen vom Vorabend war in einen steten Landregen übergegangen, kein Tag für ein Hotelzimmer. Nach Durchfahrt durch die Tiefgaragenschranke hielt Tobias seinen Wagen an, um ihr mit seiner Zugangs-Berechtigung die Schranke noch einmal zu öffnen. Parkplätze waren hier in der Gegend knapp, und so eine Garage war ein wahrer Segen.
Tobias ließ sie nach dem Aufsperren der Wohnungstür vorangehen. Erwartungsvoll, mit vorsichtigen Schritten, tastete Julia sich vor. Im Flur flammte das Licht automatisch gesteuert auf, unwillkürlich entfuhr ihr ein Laut der Überraschung. »Wow! So etwas gibt es wirklich? Ich dachte, solche Lofts gibt's nur in Designer-Zeitschriften!« Schon stand sie in der Mitte des großen Hauptraumes und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Wahnsinn! Und diese Ordnung! Hast du jemand der dauernd hinter dir herräumt oder bist du wirklich ein solcher Pedant?«
Ohne eine Antwort abzuwarten strich sie jetzt um den freistehenden Herdblock herum, bestrich die chromblitzende Abzugshaube mit den Fingerspitzen und ging wiegenden Schrittes die Küchenfront ab. Sie sah sexy aus, und er freute sich, dass sie beeindruckt war. Nach Inspektion der Küchenausstattung stellte sie überrascht fest, dass es so aussähe, als ob dort tatsächlich jemand kochen würde. »Verheimlichst du mir etwas? Gibt es da vielleicht doch noch eine Frau, die du mir verschwiegen hast?« Jetzt kam sie auf ihn zu und hielt ihn mit beiden Händen am Kragen fest. »Du bist mir ein paar Antworten schuldig, mein Lieber. Ich höre.«
»Okay, der Reihe nach: Ich bin nicht wirklich ein Pedant, eher ein Purist. Ich mag die Reduzierung auf das Wesentliche. Das hilft mir dabei, mein Leben optimal zu organisieren. Ja, es räumt jemand hinter mir her, aber die alte Jeanette ist keine Gefahr für dich, sie kommt immer freitags für ein paar Stunden. Deshalb sieht es jetzt auch so sauber aus«, versuchte er sich im Tiefstapeln. »Gefällt es dir?«
Sie spitzte die Lippen und überlegte einen Augenblick, ehe sie antwortete: »Ich finde es spannend zu sehen, wie Menschen leben. Meiner Meinung nach sagt eine Wohnung sehr viel über ihre Bewohner aus. Ich sehe, dass hier ein Mann wohnt, keine Frage! Alles klar gegliedert, symmetrisch angeordnet, strenge Linien, organisiert. Eine solche Wohnung würde kaum eine Frau ihr Zuhause nennen.«
Sie musste ihm seine Ernüchterung angesehen haben. »Komm, sei nicht eingeschnappt! Ich bin ja noch nicht fertig. Also, das, was ich hier sehe, passt sehr gut zu dem Bild des erfolgreichen Staranwalts, von dem eine Homestory in einer entsprechenden Glamour-Zeitschrift abgedruckt wird. Eigentlich fehlt nur noch die riesige Bücherwand, vor der sich der Hausherr gerne ablichten lässt. Nimm es mir nicht übel, Tobias, aber das hier, das spiegelt dich nicht wirklich. Ich habe dich als einen Menschen kennen gelernt, der romantisch und jungenhaft, leidenschaftlich und neugierig auf das Leben ist. Ich habe diesen vorgeblich nüchternen Loftbewohner vor einem Straßen-Kasperletheater angetroffen, ergriffen vom fröhlichen Kinderlachen. Weißt du, was ich glaube, Herr Rechtsanwalt?« Nun war ihr Gesicht ganz dicht vor seinem, sein Gesicht spiegelte sich in ihren dunklen Augen.
»Nein, was glaubst du?«
»Ich glaube, dass es höchste Zeit ist, dass ich in dein Leben komme. Du hast ja bisher noch gar nicht richtig gelebt, so wie es hier aussieht, ist das keine Wohnung, sondern eine Möbel-Ausstellung! Bist du bereit, dich mit mir in das zu stürzen, was man richtiges Leben nennt? Mit Kindern, Unordnung, Chaos, Leidenschaft und ganz viel Liebe und Fürsorge? Sag, bist du dazu wirklich bereit?« Er war durch ihre Worte seltsam angerührt. Bisher hatte er sich doch immer stolz gefühlt, wenn er anderen seine Wohnung zum ersten Mal vorführte, und jetzt kam dieses Zauberwesen daher, das ihm auf den Kopf zu sagte, dass diese Wohnung unmöglich Ausdruck seiner selbst sein könne. So hatte er das noch nie betrachtet. War das vielleicht auch der Grund, warum er sich bei Prof und Doreen, trotz, oder vielleicht gerade wegen ihrer lebendigen Unordnung, so wohl fühlte?
»Sag mal, bist du eigentlich immer
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