Milchrahmstrudel
»sodass wir uns noch am Hütterl treffen können. Hans hat von vier bis acht Kassenprüfung beim Schützenverein.«
Deshalb ist er jetzt schon bei Luise aufgekreuzt, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Ich geh voraus und koche Kaffee«, bot Sprudel an. »Dazu gibt es Hefeschnecken vom Birkenweiler Bäcker.«
Schmunzelnd unterbrach Fanni die Verbindung. Sie wusste, dass Sprudel in der Dorfbäckerei Stammkunde war. Nicht weil er von den Erzeugnissen des Bäckermeisters besonders angetan gewesen wäre, sondern weil Olga Klein den Laden dienstags und freitags mit böhmischen Spezialitäten belieferte.
Als Fanni in die Hütte trat, duftete es bereits nach Kaffee, nach frischem Backwerk und nach dem herben Rasierwasser, das zu Sprudel gehörte wie die tiefen Wangenfalten, die etwas zu großen Ohren und das besondere Lächeln, das nur für Fanni reserviert war. Sie fühlte ein Kribbeln im Magen.
Holla, Liebesgefühle! Sprießen bei Fanni Rot etwa die Knospen des zweiten Frühlings?
Sprudel nahm sie in die Arme. Sie schmiegte sich an ihn, und heimlich stahl sich die Gewissheit in ihren Verstand, dass sich in den vergangenen Monaten in ihrer Empfindung für Sprudel eine Menge verändert hatte.
Er ist vom Kumpel zum Objekt der Begierde avanciert!
Warum erst jetzt?, fragte sich Fanni, während sie ihre Nase in seine Wangenfalte grub. Nach so vielen Jahren tiefer, jedoch rein platonischer Freundschaft, die ich für unser Alter und für die gegebenen Umstände als bedeutend schicklicher empfand.
Weil vergangenen Herbst ernsthafte Gefahr bestand, ihn zu verlieren!
Mag sein, gab Fanni ihrer Gedankenstimme recht. Mag sein, dass mir die Vorstellung von einem Leben ohne ihn die Augen geöffnet hat.
Sprudel hatte in der Hütte den kleinen Tisch zwischen den Polsterstühlen gedeckt, denn draußen war es empfindlich kühl geworden. Seit Mittag wehte der Wind dunkle Wolken über den Birkenweiler Hügel.
Er führte Fanni zu ihrem Stuhl, nahm ihr gegenüber Platz, schenkte die Tassen voll und legte jedem ein Stück Gebäck auf den Teller.
Sie sahen sich über den Rand ihrer Tassen hinweg an, als sie den ersten Schluck tranken.
Erst nach einiger Zeit fragte er nach den letzten Neuigkeiten im Fall Roland Becker.
Fanni hatte ein wenig Mühe, sich darauf zu besinnen, was sich während des Besuches bei Tante Luise ergeben hatte. Entsprechend stockend begann sie. Mit der Zeit kamen die Sätze flüssiger.
»Darum glaube ich, Hanno selbst versorgt die Senioren mit allerlei Medikamenten und verdient sich eine goldene Nase damit«, beendete sie ihre Ausführungen. »Für alle anderen hat er ein Verbot erlassen, damit ihm niemand ins Geschäft pfuschen kann.«
Sprudel wirkte beeindruckt. »Das hört sich absolut einleuchtend an. Zumal er ja recht offensichtlich auf ziemlich großem Fuß lebt.«
»Eigentlich fast zu offensichtlich«, sagte Fanni und fügte auf Sprudels fragenden Blick hinzu: »Ist es nicht merkwürdig, dass er seinen Reichtum ausgerechnet in der Katherinenresidenz so zur Schau …« Sie schrak zusammen, als ihr Handy zu klingeln begann, das sich, seit sie es besaß, wohl noch keine drei Mal gemeldet hatte.
Wie sollte sich ein meist ausgeschaltetes Mobiltelefon auch melden können?
»Fanni«, sagte Tante Luise, »die Nagel ist tot. Komm schnell her, wenn du kannst.«
Fanni brachte mühsam ein stammelndes »Aber wieso? Was hat …?« zustande, als Luise ihr ins Wort fiel: »Komm her, ich muss dir was zeigen.«
Bevor Fanni antworten konnte, war die Verbindung unterbrochen.
»Fahr doch mit«, sagte sie, nachdem sie Sprudel über Luises lakonische Aufforderung informiert hatte. »Luise scheint etwas Wichtiges herausgefunden zu haben.« Weil Sprudel so befremdet schaute, fügte sie hinzu: »Lass sie ruhig darüber klatschen – alle miteinander.«
Ein wenig widerstrebend erhob er sich.
10
Als sie das Zimmer betraten, saß Tante Luise in ihrem Rollstuhl am Esstisch, wo neben dem Blatt Papier, auf das Fanni die ihr aus Rolands Notizblock in Erinnerung gebliebenen Kürzel geschrieben hatte, eine Fotografie in einem Holzrahmen lag.
»Setzt euch«, ordnete Luise an. Sie wirkte kein bisschen überrascht, Sprudel an Fannis Seite zu sehen, schien ihn beinahe erwartet zu haben.
Ohne Einleitung begann sie: »Schwester Monika hat mich vorhin gefragt, ob ich mich noch von der Nagel verabschieden will, bevor sie in den Aussegnungsraum hinuntergebracht wird. Schließlich haben wir die ganze Zeit Tür an Tür gewohnt und
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