Miles Flint 01 - Die Verschollenen
etwas taten, waren sie erschüttert gewesen, und die Menschen hatten diese Reaktion missverstanden. Sie hatten gedacht, sie hätten das falsche Stück Land gewählt – wegen irgendwelcher Nestlinge oder der Geschichte des jeweiligen Landes.
Ihnen war jedoch nie in den Sinn gekommen, dass es den Wygnin absolut fremd war, eine Landschaft zu verändern und Häuser zubauen.
Und tatsächlich war Jamal der Grund, dass die Menschen es schließlich doch begriffen.
Er seufzte und erhob sich ruhelos. Sein Gespräch mit Needahl hatte noch lange fortgedauert, nachdem ihm der Mann gesagt hatte, dass er nicht für ihn arbeiten wolle. Jamal hatte die verschiedensten Argumente vorgebracht in der Hoffnung, Needahls wachen Intellekt zu reizen. Offenbar hatte Needahl sogar eine Strategie im Kopf gehabt, denn seine Haltung hatte sich vollständig verändert, nachdem er den Vollzugsbefehl gesehen hatte.
»Dieses Kind ist jung genug«, hatte Needahl jedoch noch einmal wiederholt. »Er wird diese Feuerprobe überstehen und gar nicht wissen, was er verloren hat.«
Aber Jamal würde es wissen. Er hatte Needahl sogar gefragt, ob der ihm einen Verschwindedienst empfehlen könne.
»Ich bin gerichtszugelassener Anwalt. Ich kann Ihnen eine derartige Information nicht geben; anderenfalls würde ich mich der Beihilfe bei einem Verbrechen schuldig machen.«
Und kurz darauf hatte er das Gespräch beendet.
Jamal fehlte zwar das Geld, einen Verschwindedienst anzuheuern, aber vielleicht konnte er dennoch mit einem davon einig werden.
Er stand wieder auf und ging auf und ab, sorgsam darauf bedacht, sich leise zu verhalten, um seine schlafende Frau und das Kind nicht zu wecken.
Würde er Dylani alles erklären, wäre sie böse auf ihn. Womöglich würde sie wollen, dass er aus ihrem Leben verschwand. Er konnte sie gewiss davon überzeugen, zusammen mit Ennis zu verschwinden, und er würde alle Gebühren für ihr Verschwinden bezahlen, notfalls, indem er sich vertraglich dem Unternehmen verpflichtete. Er würde ihnen jeden Lohnscheck überlassen, den er bekam, solange sie es wollten, wenn sie ihm nur garantierten, dass sein Sohn und seine Frau in Sicherheit waren.
Doch jetzt wusste er, dass keine Garantie ewig gelten konnte. Trotzdem musste er etwas tun. Irgendetwas. Wenn nur die Wygnin Ennis nicht holten. Es kümmerte ihn wenig, was mit ihm geschehen würde, solange sein Sohn eine Chance hatte, als Mensch zu überleben.
Nun, da auch noch der Dolmetscher dabei war, schien der Raum noch kleiner zu sein. Aber vielleicht fühlte Flint diese Beengung auch nur, weil die schmalen Gesichter von zweien der Rev – nicht die beiden, mit denen er gesprochen hatte – von Emotionskragen umgeben waren.
Die Emotionskragen waren, wie die anderen Körperglieder der Rev, in Ruhestellung nicht erkennbar. Wenn sie dann sichtbar wurden, kam es häufig vor, dass sie einem unvorbereiteten Beobachter einen gehörigen Schrecken einjagten.
In gewisser Weise waren die Emotionskragen in Flints Augen die aufwühlendsten Züge der Rev. Die Manschetten – die in der Sprache der Rev einen vollkommen anderen Namen trugen – waren von den ersten menschlichen Kolonisten auf Revnata so genannt worden, weil die Hautlappen an die gekräuselten Kragen im elisabethanischen Europa des sechzehnten Jahrhunderts erinnerten. Die Kragen veränderten die Farbe, wenn sich die Emotion eines Revs verstärkte – angefangen mit Fahlweiß ging es über mehrere Stufen bis zu einem rötlichen Braun, das kennzeichnend für die stärkste Ausprägung des Gefühls war.
Das Problem mit den Emotionskragen war, dass sie auf jede starke Empfindung reagierten; Flint konnte nicht erkennen, ob diese Rev Zorn oder irgendetwas vollkommen anderes verspürten. Derzeit waren die Kragen noch fahlweiß, aber die Augen der Rev waren noch weiter aus den Höhlen getreten als üblich.
Der Rev, mit dem Flint ursprünglich gesprochen hatte, stand dicht neben dem Dolmetscher. Der Dolmetscher wiederum hatte sich den Stuhl in der Nähe der Tür geschnappt und schmiegte sich an das Möbel, die Beine gespreizt, als wäre er bereit, jeden Moment die Flucht zu ergreifen.
Als der Dolmetscher sah, dass Flint gekommen war, sagte er: »Ich dachte, Sie wollten gleich zurück sein.«
In seiner Stimme lag ein Hauch von Panik, der Flint überhaupt nicht gefiel. »Was ist hier los?«
»Sie sind verärgert, weil niemand mit ihnen zusammenarbeitet. Offenbar dachten sie, ich besäße so etwas wie Amtsgewalt.«
Flint
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