Miles Flint 01 - Die Verschollenen
letzte Mal, dass sie hatten wagen können, einander zu begegnen, und es war nicht so gelaufen, wie sie es sich gewünscht hatte. Hätte sie eine Chance gehabt, so zu handeln, wie sie es sich vorstellte, dann hätte sie ihm alles erzählt, ihn zur Verschwiegenheit verpflichtet und sich dafür entschuldigt, dass sie sich überhaupt mit ihm eingelassen hatte.
Aber das hatte sie nicht getan. Sie hatte es nicht tun können. Selbst wenn er versprochen hätte, nie etwas von dem zu offenbaren, was sie ihm erzählt hätte, wäre er vielleicht nicht imstande gewesen, sein Versprechen zu halten.
Ein kurzer Satz würde reichen, ein Ausrutscher, damit sich ein Kopfgeldjäger an ihre Fersen heftete. Und ein Kopfgeldjäger würde die Rev über Ekaterinas Verbleib unterrichten.
Der Passagierbereich der Jacht war groß. Er verfügte über zehn Sitzplätze im vorderen Bereich, in dem Ekaterina gerade saß, und die Sitze ließen sich zu einzelnen bettgroßen Liegen ausklappen. Im hinteren Bereich protzte die Jacht mit vier Suiten: Schlafzimmer, Wohnzimmer und Bad, erbaut, wie sie vermutete, für die Verschwundenen, die für eine Art Erster-Klasse-Flug bezahlten.
Aber vielleicht gehörten diese Suiten auch zur üblichen Ausstattung einer Jacht dieser Bauart. Ekaterina hatte keine Ahnung und niemanden, den sie hätte fragen können. Sie hatte erwartet, auf dieser Jacht nur eine von vielen zu sein, die alle auf dem Weg in ein neues Leben an einem neuen Ort waren. Neue Identitäten, neue Jobs, neue Methoden, sich der Welt zu nähern. Sie hatte sich Gespräche vorgestellt – nicht darüber, was sie getan hatten oder warum sie glaubten, sich den Verschwundenen anschließen zu müssen, sondern über ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihre Träume.
Ekaterina hatte noch Träume. Es gab nur einen, den sie unterdrückte, und das war der, in dem sie in ihr altes Leben zurückkehrte, zurück nach San Francisco und zu Simon.
Doch nun musste sie eine andere Person sein. Das war die einzige Überlebenschance für sie und die Menschen, die sie liebte.
Ekaterina stand auf und ging auf und ab, wie sie es schon die ganze Zeit über getan hatte, seit die Jacht die Erdumlaufbahn verlassen hatte. Es war ein seltsames Gefühl, im Passagierbereich eines so kleinen Schiffs zu sitzen. In ihrer Collegezeit hatte sie sich ein bisschen Geld verdient, indem sie während des Sommers Orbitalfähren geflogen hatte. Sie hatte überall auf der Erde Touristen an Bord genommen und ihnen die Sehenswürdigkeiten aus dem Orbit gezeigt. Der Job war nach einer Weile langweilig geworden, aber der Umgang mit der Steuerung nicht.
Vielleicht würden die Leute von Disappearance Incorporated ihre Pilotenerfahrung dazu nutzen, ihr einen ähnlichen Job in einer anderen Welt zu verschaffen. Vielleicht bekäme sie die Chance, etwas auszuprobieren, das sie sich schon lange erträumt hatte. Sie wusste, sie würde nie mehr als Juristin praktizieren können – das wäre zu auffällig –, aber vielleicht konnte sie in einem artverwandten Bereich arbeiten.
Ekaterina berührte die Blüten in ihrer Tasche. Dass sie immer noch da waren, hatte sie erstaunt. Sie hatte damit gerechnet, im Raumhafen durchsucht zu werden, aber dergleichen war nicht geschehen.
Der Mann, der nicht Russel war, hatte sie hereingeführt, als nähme alles seinen ganz normalen Lauf. Sie waren durch Seitentüren gegangen, die zu einer ganzen Reihe von Privatjachten führten. Ekaterina hatte nie zuvor an einem privaten Raumflug teilgenommen. All ihre früheren Reisen hatten auf kommerziellen Schiffen stattgefunden, und deren Bestimmungen waren eisern. Jeder wurde durchsucht. Nur eine bestimmte Menge an zusätzlichem Gewicht durfte mit an Bord genommen werden, und alles und jeder wurde darauf untersucht, ob es eine potenzielle Gefahr für den Flug darstellen konnte.
Tage bevor sie ihr Haus verlassen hatte, hatte Ekaterina eine Laserpistole in ihrer Handtasche deponiert. Sie hatte gedacht, dass sie sie vielleicht brauchen würde, bevor sie verschwand, aber niemand hatte sich an sie herangeschlichen. Selbst als sie die letzten Vorbereitungen für ihr Verschwinden getroffen hatte, hatte sie die Pistole in der Tasche gelassen. Die Leute von Disappearance Inc. hatten ihr gesagt, sie dürfe niemandem trauen – nicht einmal den Leuten, die sie von einem Ort zum anderen bringen sollten.
Wundersamerweise hatte die Laserpistole den Orbit zusammen mit ihr verlassen, etwas, das bei einem anderen Flug niemals hätte passieren
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