Miles Flint 01 - Die Verschollenen
Kabine zu durchsuchen und nachzusehen, ob die Crew eigene Waffen mit an Bord gebracht hatte.
Nicht, dass das etwas geändert hätte. In dem Moment, in dem die Rev die Jacht enterten, hatten sie auch schon gewonnen. Ekaterina musste sie von sich fern halten, und das bedeutete, sie musste zum Mond rasen.
Vielleicht konnte sie sich der Gnade der Mondregierungen ergeben und hoffen, dass man sie beschützen würde. Aber sie wusste, dass die Chancen dafür schlecht standen.
Ihre Überlebenschancen standen insgesamt sauschlecht.
Aber es gab eine Chance, und das war alles, was zählte.
In Jamals Augen hatte die Nachbarschaft immer schon recht heruntergekommen gewirkt. Heruntergekommen für die Maßstäbe in der Gagarinkuppel, was bedeutete, dass die Häuser klein waren und die Lehmziegel auseinander fielen. Einige der Gärten waren mit typischen Wüstenpflanzen bepflanzt, wie man sie überall in diesem Teil des Monds fand, aber die meisten dieser Pflanzen verkümmerten. Nur wenige schienen noch lebendig zu sein, und die gehörten zu den Häusern, die etwas weniger baufällig aussahen als der Rest, und das waren die Häuser, denen er sich nähern konnte, ohne sich dabei unbehaglich zu fühlen.
Die anderen Häuser machten ihm Angst.
Was für ein Niedergang verglichen mit der Zeit, bevor er nach Korsve gegangen war. Jamal hatte zwei eigene Häuser besessen sowie eine Ferienwohnung, alle in unterschiedlichen abgelegenen Kolonien. Er hatte sogar Zugriff auf die diversen Unternehmensraumjachten gehabt, sodass er nach Belieben zwischen seinen Häusern hin und her hatte reisen können.
Sein Magen verkrampfte sich. Dreimal war er nun schon durch die Nachbarschaft gezogen, hatte gesucht und Fragen gestellt. Eine Hand voll Freunde half ihm dabei, ebenso wie einige Polizisten. Und jeder hatte seine eigene Theorie darüber, was mit Ennis geschehen war.
Einige seiner Freunde dachten, dass Ennis, der gerade zu laufen lernte, allein hinausgeschlüpft war, was Dylani verärgert bestritt, als würde das irgendwie sie und Jamal als Eltern in ein schlechtes Licht rücken. Sie hatte keine Ahnung, dass Jamals Gründe, überhaupt Vater zu werden, viel schlimmer waren.
Warum hatte er nur geglaubt, in Sicherheit zu sein?
Verdrängung. In jener kurzen psychologischen Beratung, an der er vor seinem Verschwinden teilgenommen hatte, hatte man ihn davor gewarnt, und er hatte angenommen, er würde so etwas nie erfahren. Er war ein kluger Mann. Er kannte die Risiken.
Aber er erinnerte sich auch daran, dass das Unternehmen ihm erzählt hatte, sie würden ihn vermutlich nie finden, sollten sie ihn nicht innerhalb von zehn Jahren gefunden haben. Nach dieser Zeit konnte er riskieren, wieder zu leben. Nicht, zu seinem alten Leben zurückzukehren – das würde er nie mehr tun können –; aber er konnte neu anfangen, als hätte die Vergangenheit nie stattgefunden.
Und das hatte er getan.
Ennis war der Beweis dafür.
Und der Beweis, dass das Unternehmen sich geirrt hatte.
Die Polizisten andererseits hatten ihm geglaubt, als er ihnen erzählt hatte, er glaube, jemand habe das Kind entführt. Das Problem dabei war, dass er damit auch einen Teil des Verdachts direkt auf sich gelenkt hatte. Viele Eltern behaupteten, ihre Kinder seien entführt worden, nur damit die Leiche des Kindes Jahre später unter irgendeinem Kaktus zum Vorschein kam.
Jamal hatte es nicht gewagt, der Polizei die Wahrheit zu erzählen, ihnen zu sagen, dass er nach multikulturellem Recht keinen Anspruch auf Ennis, auf sein eigenes Kind hatte. Seinen Erstgeborenen.
Jamal trottete an dem letzten Haus des schmuddeligen Blocks vorbei. Das dürftige Tageslicht, das von zusätzlichen Beleuchtungseinrichtungen innerhalb der Kuppel verstärkt wurde, war längst der nächtlichen Dunkelheit gewichen. Bald würde die Erde aufgehen, und Jamal würde den Ort sehen können, von dem seine Leute gekommen waren, den Ort, den er nie besucht hatte, obgleich er es immer hatte tun wollen, als er noch Geld gehabt und geglaubt hatte, jederzeit reisen zu können.
Vor Ennis. Vor Dylani. Vor dem Mond und all diesen Dingen.
Der schlimmste Teil war, ihr die Wahrheit zu sagen. Dylani würde ihm nie verzeihen, nicht vollständig. Selbst wenn sie bei ihm bleiben sollte. Sie liebte ihn, das wusste er; aber ihre Liebe zu Ennis war etwas ganz anderes, etwas Leidenschaftliches, Beschützendes. Etwas, das er stets ein wenig gefürchtet hatte.
Und dies war der Grund dafür.
Vor dem Haus standen noch immer
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