Millionencoup im Stadion
zum
Tagesgeschäft.
»Gemütlich, gemütlich«, ließ
sich Morosow vernehmen. Ob es ihm mit seiner Äußerung wirklich ernst war, war
nicht herauszuhören. »Und wo ist denn nun DIE Werkstatt?« Das Wörtchen »die«
wurde von ihm im besonderen Maße betont.
»Ist einen Stock tiefer, im
Keller. Zeige ich euch später.« Robert war an einen kleinen Schrank getreten
und holte fünf Gläser und eine Flasche Whiskey daraus hervor. »Lasst uns zuvor
erst einmal auf unseren Deal trinken!«
Das ließen sich die Anwesenden
nicht zweimal sagen.
Nach dem zweiten Glas entschied
Morosow: »Lasst uns endlich in den Keller gehen.«
Robert ging voran, die anderen
folgten ihm die steile Treppe hinab. Auch hier bröckelte, wie an der
Außenfassade des Hauses, der Putz von den Wänden.
Eine einfache Glühbirne
erhellte matt die Umgebung. Robert erklärte, dass das früher das Stofflager
gewesen war. Damals, als die Wände noch keine Feuchtigkeit gezogen hatten und
Salpeter-Ablagerungen von ihnen abbröckelten. Inzwischen roch alles ein
bisschen muffig.
Robert tastete nach einem weiteren
Lichtschalter. Eine 100-Watt-Glühbirne flammte auf — ein Leucht-Relikt aus der
Zeit vor der Energiesparlampe. Jetzt war es richtig hell in den Katakomben der
Änderungsschneiderei. Das Allerheiligste zeigte sich in seiner ganzen Pracht.
»Hier entstehen unsere
Schätzchen«, lächelte der Ladeninhaber. »Hier bekommen all die schönen,
falschen Trikots ihre echten Stoffetiketten angenäht.«
Interessiert schauten sich die
Besucher im Raum um. Die Wände, die vor fünfzig Jahren gewiss einmal weiß
gewesen waren, zeigten sich nun in einem dreckigen Gelbton.
Zwei große
Industrienähmaschinen standen hier und es gab — ähnlich wie oben — überall
Regale vor den Wänden. Allerdings waren die Reihen fast leer.
Kartons waren in einer Ecke
hoch aufgestapelt. Alle vier Kellerfenster waren mit Brettern von innen
vernagelt. Offenbar wollte jemand nicht, dass man von außen einen Blick in
diese Schatzkammer werfen konnte.
»Mit diesem Teil hier«, Robert
deutete auf eine der beiden Maschinen, »nähe ich die Etiketten an. Das geht am
schnellsten und saubersten.« Die Besucher blickten sich im Raum um. »Dort am
Tisch verpacke ich dann die Trikots in Folie oder hänge sie auf Kleiderbügel
auf. Je nachdem, wie sie ausgeliefert werden sollen.«
Steven Kraut sah sich die große
Nähmaschine genauer an. Er war zum ersten Mal in Roberts geheimen
Räumlichkeiten. Robert erklärte voller Begeisterung die einzelnen
Arbeitsschritte, vom einfachen Stoffshirt zur perfekten Marken-Imitation.
Allerdings schien das niemanden außer Steven wirklich zu fesseln. Morosow und
seine Knechte interessierte es von jeher mehr, was bei einem Geschäft
herumkommt als die einzelnen Puzzleteilchen.
Morosow öffnete einen der
größten Kartons. Er lächelte. Er wusste, welche Unsummen mit diesem
»Etikettenschwindel« zu verdienen waren. Zum nächsten Geburtstag würde er
seiner Freundin eine Wohnung in der teuersten Stadt der Welt schenken. Und
seine Frau dürfte sich eine mit Brillanten geschmückte Armbanduhr bei einem
Juwelier in Moskau aussuchen. Der Boss schloss den Karton zufrieden, dann
verließen alle den Keller.
Im Verkaufsraum stießen noch
mal alle mit Whiskey auf weitere gute Geschäfte an und versicherten sich ihrer
»Freundschaft«. Dann verließen Morosow und sein Gefolge den Laden auf demselben
Weg, den sie auch gekommen waren: durch die Hintertür.
Ein Blick auf die Uhr zeigte
Tim, dass er bald ins Internat zurückmusste, wenn er keinen neuerlichen Anpfiff
riskieren wollte. Er musste sich sputen, wenn er hier noch etwas erreichen
wollte. Er pirschte sich rasch an dem Schaufenster des Ladens vorbei, in dessen
Auslagen ein paar selbst entworfene Kleidungsstücke lagen. Drei
Schaufensterpuppen und eine kleine Trennwand versperrten ihm die Einsicht.
Auch durch die Glastür war
nichts zu sehen, denn sein Blick wurde durch eine Scheibe aus Milchglas
behindert.
Doch Tim wusste sich mit einem
kleinen Trick zu helfen: Er lief zurück zu seinem Fahrrad und holte aus der
Tasche mit dem Reifenflickzeug eine kleine Rolle Klebefilm herbei. Er war
schnell in seinen Handgriffen. Geschickt brachte Tim einen kleinen Streifen
Klebeband auf der Glasfläche an und schon hatte er den gewünschten Durchblick!
Vorsichtig lugte er durch das
winzige Sichtfenster, immer auf der Hut, nicht entdeckt zu werden. Denn er
wusste, dass man ihn nun auch von der anderen Seite
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