Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi
Chefredakteurs. Aber dass der Herausgeber mit dabei ist … Der lässt sich bei uns sonst nie blicken.
Ich habe gestern Abend daheim geschrieben. Was ist zwischen gestern Nachmittag und heute Früh vorgefallen? Besser, ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Ich hänge meinen Memory-Stick an den Computer, lade die Reportage.
Die Zeitungen bieten wenig Neues. Das „Blatt“, von Droch und einigen kritischen Geistern auch „Sudel-Blatt“ genannt, hat den Mord zur Aufmacherstory erkoren. Die Sache mit dem Quecksilber wird breitgetreten, ein Psychologe äußert die Ansicht, dass Kandidaten solcher Shows rund um die Uhr psychisch betreut werden müssten. Er hält es für nicht ausgeschlossen, dass Susanne Kraus sich selbst umgebracht hat. Der Druck vor der nächsten Runde sei vielleicht zu groß geworden. Ich überlege. Wer hat dann die zerbrochenen Thermometer in den Müll geworfen? Vielleicht jemand, der Bert Seinitz eins auswischen wollte? Undenkbar ist nichts. Auch mir kommt es zunehmend unwahrscheinlich vor, dass die Spurensicherung die Thermometer übersehen hat. Die Spurensicherung zieht ab, jemand kommt, wirft die zerbrochenen Thermometer in den Container. Das geht ganz rasch. Ich sehe es beinahe vor mir – aber wer ist es gewesen? Ich seufze und lenke meine Gedanken zurück zum „Blatt“. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Klaus Liebig nicht auch an das „Blatt“ herangemacht hat, aber kein Wort über ihn. Als potenzielle Tatverdächtige werden „ihr letzter Konkurrent“ sowie die Konkurrenten aus den Vorrunden genannt. Liebe Güte, an die habe ich gar nicht gedacht.
Die anderen Zeitungen lassen es eher offen, ob der Tod von Susanne Kraus mit MillionenKochen zu tun hat. Ein Journalist ist auf die kluge Idee gekommen, nachzufragen, wer ihren Gewinn erbt. Es sind insgesamt 75.000 Euro. Es ist schon für weniger Geld gemordet worden. Aber so wie es aussieht, gibt es kein Testament. Ihre Mutter wird erben.
Ich sichere die Reportage auf dem Redaktionscomputer und beginne zu lesen. Erstaunlicherweise habe ich für den Text sechs Seiten bekommen, das ist bei uns selten. Also hat alles Platz: Die Kriminalstory im engeren Sinn, bei der ich meinen Kollegen doch um einiges voraus bin. Die Kurzinterviews mit den Kandidaten inklusive des kleinen Interviews mit Susanne Kraus. Ich habe den Produzenten leider zu fragen vergessen, ob sie an den Losen vorbei in die Sendung geschleust wurde. Aber wahrscheinlich hat sie nur einfach Glück gehabt und tatsächlich mit dem dritten Los gewonnen. Gestern Nacht hatte sie, gelinde gesagt, Pech.
Ein Absatz über Klaus Liebig. Bleibt nur zu hoffen, dass er nicht bei irgendjemand von der Konkurrenz auspackt. Nicht alle werden ihn schonen wollen.
Ich höre, dass sich am Empfang in unserem Stockwerk etwas tut. Ich sehe zwar auf die Entfernung nicht besonders gut – wer muss schon alles scharf sehen im Leben? -, aber da stehen jetzt einige Menschen. Ich springe auf, eile durchs Großraumbüro, durch die Glastür. Der Chefredakteur sieht mich an, als hätte er eine Erscheinung.
„Sag nicht, du weißt …“, sagt Droch und verstummt wieder.
„Was ist los?“, frage ich und bekomme keine Antwort.
Ich gehe zurück zu meinem Schreibtisch. Sobald der Auflauf der wichtigen Menschen vorbei ist, werde ich Droch einen Besuch abstatten.
Ich lese die Reportage zu Ende. Auch der Info-Kasten mit dem Hintergrundwissen über die Giftigkeit von Quecksilber passt. Ein Volontär hat ihn mit Feuereifer recherchiert, und außer ein paar sprachlichen Kleinigkeiten musste ich nichts ändern. Die Fotos sind weitgehend eingecheckt, am größten werden das mit den zerbrochenen Fieberthermometern und eines mit der jubelnden Susanne Kraus nach dem Rundensieg bei MillionenKochen kommen. Kleiner sind die Fotos von den Studios und vom Bürgermeister, der die Betriebsansiedelung geschafft hat. Lena Sanders ist als Operndiva und als Moderatorin zu sehen.
Ein neues E-Mail. Ich klicke es an und lese:
„An alle Mitarbeiterinnen des Magazins: Interne Mitteilung: Hannes Hochstatt hat bekannt gegeben, dass er seine Position als Chefredakteur und Mitarbeiter zurücklegen möchte. Aufgrund seines Anspruches auf verbliebene Urlaubstage scheidet er mit sofortiger Wirkung aus dem Redaktionsstab aus. Der Abschied erfolgt zur Gänze auf eigenen Wunsch. Auskünfte gegenüber Dritten haben, siehe die Verschwiegenheitsverpflichtung in den Dienstverträgen, zu unterbleiben. Anfragen von Medien sind unverzüglich an das
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