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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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»Boyer hat vom Golden Mountain Motel aus angerufen. Er bringt Gavin jetzt, während seine Tochter schläft, zum Krankenhaus herüber.«
    Als sich die Krankenhaustüren hinter uns geschlossen haben, fragt Jenny: »Möchtest du in meinem Sprechzimmer warten oder oben bei Gram?«
    Ich folge ihr durch die Eingangshalle zu den Treppen. Im Erdgeschoss von St. Helena’s geht es ruhig zu, es besteht jetzt hauptsächlich aus Empfangsbereich und Diensträumen. Aber die Kapelle gibt es noch. Ich bleibe vor den breiten Eichentüren stehen. »Ich möchte da drinnen warten.«
    Jenny dreht sich mit einem fragenden Blick zu mir um. »Ach so, natürlich«, sagt sie, als ihr klar wird, dass ich die Kapelle meine. »Möchtest du, dass ich mit dir warte?«
    »Nein, ich brauche ein paar Minuten für mich. Wirst du ihn hierherbringen? Ich würde ihn gern zuerst allein sehen.«
    »Klar«, sagt sie. »Das verstehe ich.«
    Sie nimmt mich in die Arme. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja«, antworte ich.
    Und genau wie ihre Großmutter hält Jenny mich länger umgeschlungen als erwartet.
    Und ich bin dankbar dafür.
    In der Kapelle ist es eng und schummrig. Es riecht nach modrigem Holz und Leinöl. Die schwere Tür geht langsam hinter mir zu. Ich bleibe einen Moment stehen, bis meine Augen sich an das Licht gewöhnen. Votivkerzen beleuchten ein Kruzifix über dem Altar. Ich setze mich in eine der beiden Kirchenbänke und lasse den Blick zum Kreuz hinaufwandern und weiter zu der blauen Marienstatue, zu den Kerzenflammen, die zu ihren Füßen tanzen. Wieder einmal beneide ich meine Mutter glühend um ihren Glauben, um die Kraft, die sie in ihrer Religion, ihrer Kirche gefunden hat. Jener Kirche, der ich vor Jahren den Rücken gekehrt habe.
    Dennoch bete ich zu irgendeinem Gott, zu irgendeiner Macht im Universum, die mir zuhört. Bitte, bitte, lass ihn nicht wie Gerald Ryan aussehen.
    Das Geräusch der Eichentür, die sich hinter mir bewegt, höre ich nicht, ich fühle es nur. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich drehe mich um, in Zeitlupe, wie es scheint. Licht flutet in den Raum.
    Und er ist da. Seine dunkle Silhouette zeichnet sich in der Tür ab.
    Ich stehe auf und warte auf zitternden Beinen, während er auf mich zukommt. Keiner von uns spricht ein Wort. Ich weiß nicht, was ich sagen soll – »Hallo« kommt mir so unpassend vor. Die Tür schließt sich hinter ihm, und er wird einen Augenblick vom Dunkel verschluckt. Dann steht er plötzlich vor mir. Ich suche sein Gesicht im Kerzenschein, der seine Züge beleuchtet.
    Und meine Gebete sind erhört.
    Die dunklen Augen, die mich ansehen, sind Ward-Augen. Sie lächeln mit einer Vertrautheit, die nur Familienmitglieder bemerken können. In diesen Augen erkenne ich meinen Vater und Morgan wieder. Die helle Haut, das braune Haar, der Mephisto-Haaransatz, selbst das Aufblitzen der makellosen Zähne, als er ein Lächeln versucht – alles ist von seinem Großvater an ihn weitergegeben worden.
    Wärme durchströmt mich, breitet sich in meinem Körper aus, füllt einen leeren Raum, von dessen Existenz ich nichts gewusst hatte. Alles andere ist ohne Bedeutung. Dies ist mein Kind, mein Sohn, und die Sehnsucht nach ihm, die ich nicht wahrhaben wollte, wird jetzt durch Liebe ersetzt.
    Er streckt mir die rechte Hand entgegen. »Hallo«, sagt er. »Ich bin Gavin.«
    Und ich höre diese Stimme!
    Meine Knie werden weich und knicken ein. Er fängt mich auf und führt mich zu der Bankreihe zurück. »Ist alles in Ordnung?«, fragt er, während ich mich auf den Sitz fallen lasse.
    Diese Stimme! Diese Stimme ist einzigartig. Die Erinnerung an einen Sommertag durchflutet mich. Die vertraute Stimme füllt die Kapelle mit derselben Musik, derselben Magie, die Rivers Stimme an jenem längst vergangenen Tag heraufbeschwor.
    Ich nicke, weil ich mir einen Moment lang meiner Stimme nicht sicher bin. Er wartet geduldig, dass ich mich fasse. Ich suche in seinem Gesicht nach Anzeichen von Groll gegenüber einer Mutter, die ihn bei seiner Geburt aufgegeben hat. Doch da ist nichts außer freundlicher Besorgtheit. Und ich fühle die Traurigkeit darüber, dass wir all diese Jahre voneinander getrennt waren. »Man hat mir gesagt, dass du tot zur Welt gekommen wärst«, sage ich schließlich.
    »Ja, ich weiß.«
    Ich kann nicht genug bekommen von ihm, während er meine Flut von Fragen über sein Leben beantwortet. Vom Zauber seiner Stimme gebannt, höre ich zu, als er mir berichtet, dass er in West Vancouver aufgewachsen

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