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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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kleinen Kindern zusah, die in die luftige Masse auf dem Heuboden sprangen, während die Stallschwalben von den Dachsparren schimpften.
    Inzwischen wurde das Heu in festen Ballen gelagert.
    Aber es waren nicht die Erinnerungen an verlorene Sommer, die Nettie bedrängten, als sie so dasaß und über den Hof blickte. Es war River.
    Es war das Bild von River, wie er an diesem Tag auf den Heuboden geklettert war, um von dort oben Ballen in den Kälberstall zu werfen. Außer Lederhandschuhen hatte er von der Taille aufwärts nichts an. Der blonde Pferdeschwanz wippte gegen seine sonnengebräunten Schultern. Selbst von der anderen Seite des Hofs, wo sie die Wäsche auf die Leinen hängte, erkannte sie die Traurigkeit, die auf seinem Gesicht lag, seit er die Nachricht vom Tod eines weiteren Kennedys gehört hatte. Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, als sich ihre Blicke trafen. Er winkte und rief: »Hey, Nettie!«, als wäre es vollkommen natürlich, dass sie wie angewurzelt dastand.
    Zögernd hob sie die Hand, um zurückzuwinken, dann blickte sie um sich, als hätte irgendjemand sie bei ihrem schamlosen Starren ertappt.
    Aber in der Einsamkeit der Nacht, in der Dunkelheit der Veranda, gestattete Nettie es sich, zu träumen und sich zu fragen, wie es wohl wäre, Rivers nackte Haut zu berühren, wie es sich anfühlen würde, wenn seine Haut die ihre berührte.
    Von irgendwoher aus der Ferne drang das Echo von Hundegebell im Tal. Unter den Waschtrögen hervor ließ Buddy, der sich vor dem Gewitter versteckt hatte, in seinem Schlaf ein Winseln vernehmen, wachte aber nicht auf. Der Border-Collie, schon zu alt, um irgendwohin zu rennen, außer in seinen Träumen, war keine Gesellschaft für sie.
    Nettie starrte hinauf zu dem Fenster über der Molkerei. Der flackernde goldene Kerzenschein war erloschen. Gelbes Licht wurde im Badezimmer eingeschaltet, und Rivers Silhouette bewegte sich durch den Raum. Sie fühlte sich in der Nacht weniger allein, weil sie wusste, dass auch er wach war. Das Licht blieb an. River erschien wieder und setzte sich an den Tisch vor dem Fenster.
    Nettie gab sich einen Ruck und stand auf. Sie bewegte sich wie eine Schlafwandlerin zur Verandatür, die Stufen hinunter und dann über den Hof. Das letzte Regenwasser rann von den Blechdächern herab und spritzte in den Schlammpfützen auf. Im Anbau neben dem Stall bewegten sich die Pferde in ihren Boxen. Von den Dachsparren oben schlug eine Schleiereule beunruhigt mit den Flügeln, als Nettie vorüberging. Sie hörte sie kaum. Ihre Füße in den Pantoffeln trugen sie über den Kiesweg, am Rosengarten vorbei und über den Hof bis zum unteren Ende der Treppe an der Seite der Molkerei.
    Als sie den Fuß auf die unterste Sprosse stellte, bemerkte sie, dass ihre Pantoffeln patschnass waren. Sie zögerte. Plötzlich ging oben die Tür auf. Die Hand auf dem Geländer, den rechten Fuß über der zweiten Sprosse schwebend, erstarrte Nettie.
    Der Klang von Natalies Stimme, die »gute Nacht« flüsterte, lähmte sie in ihrer Bewegung. Rasch zog sich Nettie zurück und drückte sich in den Schatten unter die Treppe.
    Augenblicke später beobachtete sie, wie ihre Tochter, nur in ihrem Nachthemd und etwas, was wie ein Hemd eines ihrer Brüder aussah, die Treppe herunterstieg. Sie kam so nah vorbei, dass Nettie die Hand hätte ausstrecken können, um sie zu berühren.
    Und während sie vorüberging, nahm Nettie ihn wahr: Mit den Gerüchen nach Stall, nächtlichem Unwetter und Rosen vermischte sich der unverwechselbare Duft von Sex.

31
     
    A LS ICH AM NÄCHSTEN T AG AUFWACHTE, strömte Sonnenschein durch mein Fenster. Es war kein morgendliches Licht.
    Ich hatte verschlafen.
    Das Haus war still, leer. Der Wecker auf meinem Nachttisch zeigte zehn Uhr an. Höchstens bei Kinderkrankheiten war ich bisher so lange im Bett geblieben. Es war ein merkwürdiges Gefühl, um diese Zeit aufzustehen. Noch merkwürdiger war die Tatsache, dass meine Mutter es überhaupt zugelassen hatte. Ich hätte darin das erste Warnzeichen erkennen müssen, dass die Dinge sich geändert hatten und nie mehr so sein würden wie zuvor. Aber noch war ich blind dafür.
    Unten stand, neben meinen beiseitegeschobenen Schulbüchern, noch das Frühstücksgeschirr auf dem Küchentisch. Auf der Ablage fand ich einen Zettel, auf dem mir meine Mutter mitteilte – als ob ich nicht wüsste, wo sie an einem Sonntagmorgen war –, dass sie mit Dad fortgefahren sei.
    »Natalie, bitte fang mit dem

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