Mimikry
wurde noch gekocht, Knoblauch, zuviel von dem Zeug. Kein Licht mehr hinter dem Fenster gegenüber, vielleicht lag sie endlich im Bett. Eine komische Frau, die im Haus gegenüber Tag für Tag auf die Straße glotzte, als erwarte sie den Prinzen, der nicht kam.
Nervend, alle Gestörten nervten.
Manchmal stand sie im Supermarkt an der Kasse und verzettelte sich mit dem Kleingeld. Sie schien die Pfennige zu sammeln, aus reiner Bosheit möglicherweise, um sie der Kassiererin in die Hand zu zählen, sechsundneunzig, siebenundneunzig, achtundneunzig, die Schlange hinter ihr, das Scharren der Füße, die leisen Flüche überall, egal. Sie zählte weiter. Sprach sie, war es nur ein Wispern, wie bei dieser Benz, bei der war es genauso. Das waren merkwürdige Leute, so fremd.
Ein Rolladen krachte herunter. Arm in Arm liefen zwei Kneipengänger vorbei, wollten woandershin, aber woanders war zu. Monotones Hupen an der Straßenecke, ein Geräusch wie beim Autoaufbruch. Sie lehnte sich hinaus, zwei Männer im Anzug stritten um einen Parkplatz, einer schrie: »ICH SCHLAG DIR DIE FRESSE EIN.«
»Okay«, flüsterte sie. »Mach doch.« Sie ging vom Fenster zurück, war nicht zuständig. Sie mußte früh raus. Es würde vielleicht Tote geben. Auf der letzten Seite ihres Notizbuches hatte sie notiert: » Vor den Skelettmuskeln erstarrt das Herz. «
16
Biggi sah, wie sie über den Parkplatz kamen. Sie liefen direkt unter dem Fenster ihres kleinen Büros vorbei, Stocker im Anzug, richtig mit Schlips. Im Gehen kickte er ein paar Steine weg, und er sah, soweit sie das von oben sehen konnte, schon wieder müde aus. Sie hatte gedacht, die Sache sei gar nicht so interessant, daß sie schon wieder zu zweit kämen. Sie, die Henkel, trug einen engen schwarzen Rock und dunkle Strümpfe. Hochhackige Schuhe und eine Jeansjacke, nicht die schwarze Leinenjacke wie letztens vor dem Präsidium. Der Rock war ziemlich kurz. Man könnte denken, sie hätte sich für Gabriel zurechtgemacht.
Biggi setzte sich an ihren Schreibtisch und öffnete ihre Jacke; man sollte sie offen tragen, auch wenn man fror. Sie war neu, eine schwarze Leinenjacke, und sie trug sie heute zum ersten Mal. Sie hatte sie erst bügeln müssen. Alle Sachen, die sie neu kaufte, bügelte sie so heiß es ging, wer wußte denn, wie viele Leute das Zeug anpackten mit ihren ungewaschenen Pfoten.
Es dauerte nur ein paar Minuten, dann riß Gabriel Biggis Tür auf; sie wollten das Video sehen. »Der Player ist hier«, sagte Gabriel. So ein langweiliges Wort wie Videorecorder sagte er nie. Mein Nokia, mein Powerbook, mein Saab, so redete er.
Stocker lächelte, als er hereinkam, ein Lächeln, das er an- und ausknipsen konnte. Die Henkel lächelte nicht, sie sagte »Hallo« zu Biggi, wie sie es vielleicht zu ihrem Metzger sagen würde. Gabriel schob ihnen Stühle hin, bot Kaffee und Zigaretten an, aber sie wollten nichts. Stocker richtete gerade seine Krawatte, als Julia sagte: »Also, ich finde, man sollte sich darüber nicht lustig machen, heute ist das ja so, daß man sich lustig macht über Gefühle. Also zum Beispiel über Romantik, da verdrehen so viele die Augen, dabei bedeutet das doch nur, Romantik, meine ich, daß man es warm und schön hat im Leben, also –«
Gabriel drückte auf die Pausentaste. »Das Thema war Hilfe, ich suche Zärtlichkeit, und es ging um Menschen, die –«
»Zärtlichkeit suchen«, sagte Stocker.
»Eher darum, wie man unter dem Alleinsein leiden kann, wissen Sie, ich muß das vielleicht erklären –«
»Machen Sie doch einfach weiter.« Die Henkel zupfte an ihrem Rocksaum herum, ihre Stimme klang lustlos. »Vielleicht erklärt es sich von selbst.«
Julia sagte: »Ich finde schon, daß man sich geborgen fühlt, wenn man nicht alleine ist, wenn man kommt.« Biggi sah, wie die Henkel plötzlich grinste und gleich darauf hustete. Stocker sah aus, als ob ihm das alles nicht gefiel, und als wolle er ihn einbeziehen, erzählte Gabriel ihm leise, daß sie sich alle in der Sendung duzten. Sowieso auch im Büro, überall.
»Ja, ja«, sagte Stocker düster. »Ich bin kein Freund von so was.«
»Vom Duzen?«
»Ganz und gar nicht.«
»– ist es ja gerade«, sagte Julia. »Man macht sich vielleicht zu viele Gedanken, möchte einfach nur einen Freundeskreis haben, man sieht ja auch ständig die Leute zusammen, guckt ihnen beim Leben zu und weiß nicht –«
»Du sagst man. «Gabriel kam noch näher an Julia heran, schwenkte das Mikrofon. »Du meinst aber: ich.
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