Mimikry
Sag ich, Julia.«
»Also, ich –« Julia starrte ihn an und hob die Hände, dann wußte sie nicht weiter. Die Henkel legte den Kopf in den Nacken, als wolle sie nichts mehr sehen, nichts mehr hören von Julia und ihrem Geplärr.
»– ist ja so«, sagte Julia, »es gibt nur noch Geschäftsbeziehungen, man macht Termine – ich sehe ja die ganzen Leute mit ihren Handys auf der Straße – man trifft sich kurz auf einen Drink oder so, geht wieder auseinander, und, wie soll ich sagen, nichts bleibt. «
Wie sie Drink sagte! Sie schwätzte daher, als hätte sie in Bars herumgehockt und welche geordert, als hätte sie sich ausgekannt mit solchen Dingen, sie war doch kaum herausgekommen. Sah sie einmal in zwei Monaten eine Kneipe von innen, bestellte sie ein Wasser.
»– und es ist alles so unpersönlich.« Julia sah nur Gabriel an, die Kamera zeigte ihr Gesicht, die aufgerissenen Augen. Ein paar andere Leute lärmten Julia nieder, sagten, sie solle das alles nicht so dramatisieren oder so. Eine dicke Frau sagte: »Du kannst doch net gleich mit jedem, wo du triffst, was Festes, ich mein’, es muß doch auch bissl was Lockeres geben«, und das Saalpublikum klatschte.
Gabriel sagte: »Julia, wenn ich das mal für dich zusammenfassen darf: Es hat keiner mehr Zeit.«
»So meine ich das gar nicht.« Julia schwitzte unter ihrem Make-up, man sah es genau, obwohl man es gar nicht sehen durfte, dafür war das Make-up ja da. »Man hat doch manchmal etwas erlebt am Tag. Und dann muß man es, wie soll ich sagen, abends den, na, den Wänden erzählen.« Sie hob die Hände, guckte Gabriel an, als erwarte sie vielleicht ein Lächeln. »Dabei wäre es viel schöner, wenn man sich nur anlehnen könnte, wenn –«
»Du suchst den Himmel«, rief Gabriel auf dem Video.
»Na ja«, sagte Gabriel im Büro.
Die Henkel starrte Julia aus zusammengekniffenen Augen an, sicher fand sie ihren Aufzug unmöglich. Julia trug das Beste, was sie gehabt hatte, eine dunkelgrüne Hose und eine weiße Seidenbluse, die hatte sie extra für diese Sendung gekauft.
»– tut weh, nicht wahr?« Gabriels Stimme war sanft. »Wenn man vielleicht voll von Erlebtem ist, und das kann ja etwas Negatives wie Positives sein, und man möchte doch, daß da jemand ist, der zuhört, Anteil nimmt, so meinst du das, Julia.«
»Und es bleibt drin, das alles«, sagte Julia. »Alles bleibt drin und wächst da so komisch, ich meine –«
»Es reicht wohl«, sagte Stocker. Neben ihm holte die Henkel Luft, als hätte sie minutenlang nicht geatmet.
Gabriel drückte Julia weg, blies ihr das Licht aus. Er setzte sich der Henkel gegenüber. »Diese ganze Reihe, die gesamte Show ist so eine Art Hort für Loser und Loner, so ein Jetzt sage ich mal alles. Es ist keine Krawallsendung, das muß ich betonen, es kommen diese Mühseligen und Beladenen, und die wissen, daß ich ihnen zuhöre und − ja. Psychohygienisch finde ich das ziemlich wichtig, ich habe Theologie studiert.«
»Ja?« fragte die Henkel. Sie hatte so eine komische Art, das zu sagen, das war Biggi schon einmal aufgefallen, so, als spreche sie das Ja mit drei as und drei Fragezeichen.
Gabriel lächelte. »Man muß natürlich bedenken, daß das alles ziemlich ungefiltert rüberkommt. Diesen Leuten fehlt weitgehend die kommunikative Kompetenz.«
»Was fehlt?« Die Henkel klang etwas aggressiv, Stocker neben ihr nickte. Seine Stimme klang unschuldig, als er fragte: »Zwingen tun Sie natürlich niemanden, sich vor die Kamera zu setzen.«
»Gottes willen.« Gabriel lachte. »Wenn wir alle nehmen würden, die sich bewerben, hätten wir ein Tagesprogramm. Ich sage vorher immer: Das ist euer Leben, denkt daran, bevor ihr loslegt, aber die sind heiß auf die Kamera.«
Die Henkel schlug die Beine übereinander, was nicht so einfach war in einem engen, kurzen Rock. »Wann war diese Sendung?«
»Im vergangenen November.«
»Hat Julia danach irgendwelche Anrufe bekommen?« Biggi merkte zwar, daß die Henkel sie bei dieser Frage ansah, aber sie wußte nicht genau, ob sie gemeint war. Ob sie jetzt antworten sollte. Die Augen der Polizistin waren wieder so undurchdringlich, sahen fast schwarz aus, obwohl sie immer noch blau waren, dunkelblau.
»Hey«, rief Gabriel, und Biggi wußte noch immer nicht, murmelte: »Ja«, und die Henkel sagte: »Frau Benz?« Sie wußte also ihren Namen noch, sah Biggi an und zog die Oberlippe zwischen die Zähne.
»Nein.« Biggi räusperte sich. »Ich weiß nichts davon.«
»Anrufe, obszönes
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