Mindhunter - Tödliche Gabe (German Edition)
Charlie ansah. Das war mehr als merkwürdig. Er konnte sehen, was Nika sah, hören, was sie sagte, aber er konnte nicht ihre Gedanken lesen. Es war, als hätte sie es irgendwie geschafft, komplett abgeschirmt in seinen Geist einzudringen und ihn daran zu hindern, selbst zu kommunizieren oder auf etwas zu reagieren.
»Okay, jetzt machen Sie mir wirklich Angst, Sir.« Charlie rief nach hinten in den Wagen. »Ich brauche hier medizinische Hilfe.« Dann rief er über das Autotelefon das OI an.
»Bin ich Joseph?« Sie benutzte Bachs Hand, um den Rückspiegel zu sich zu ziehen und hineinzusehen, und sagte: »Wow, ich seh ziemlich gut aus. Schläft Joseph auch? Ach, Quatsch, er ist ja gefahren, natürlich schläft er nicht.« Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Joseph? Wo bist du hin?
Ich bin hier, versuchte er ihr zu sagen. Zugleich konnte er von außen, wo sie ihn hingedrängt hatte, in sich selbst hineinschauen und erkennen, wo in seinem Gehirn sie sich befand. Das war … faszinierend. Mit etwas Zeit und gemeinsamer Anstrengung wäre auch er zu so etwas in der Lage. Und das bedeutete …
»Ja, hi, Elliot«, hörte Bach Charlie sagen. »Ich brauche sofort Hilfe. Es ist möglich, dass Dr. Bach gerade einen Schlaganfall hatte –«
»Ich bin nicht Joseph Bach«, sagte Nika zu Charlie und zu den anderen Vierzigern, die von hinten im Wagen zu Hilfe eilten. Sie bemühte sich, stark zu bleiben, nicht zu weinen, aber ihre Stimme zitterte, und Tränen füllten ihre Augen. Seine Augen. »Mein Name ist Nika Taylor, und ich bin hier, weil ich Joseph finden wollte. Aber er ist immer noch nicht da.«
Wenn Bach lernen könnte, das umgekehrt zu machen – volle Kontrolle über Nika zu erlangen, dann bräuchten sie nicht einzubrechen, wo auch immer sie festgehalten wurde.
Er bräuchte sie bloß zu finden – und sie dann ausbrechen zu lassen.
Als Shane auftauchte, lag Mac im Badezimmer auf dem Boden und trug nichts außer ihrer Unterhose. Auch ohne Schlüssel war er in ihre Wohnung gelangt, was keine große Überraschung war. Dass er besser mit verschlossenen Türen fertig wurde als sie, hatte er ja bereits unter Beweis gestellt.
Sie hörte ihn kommen, hörte seine vertrauten Schritte im Wohnzimmer und dann im Flur, und als er in der Tür stehen blieb, nur eine Sekunde bevor er sich auf die Knie fallen ließ, um ihr zu helfen, blickte sie zu ihm auf und sagte: »Mir geht’s gut, ich mache nur eine kleine Pause.«
Er war groß und strahlte Wärme aus und sah mit einer nackten Brust unter der Jacke verdammt gut aus, insbesondere im Kerzenschein. Als er sich neben sie kniete, schaffte er es, die naheliegenden Beschuldigungen und Vorwürfe komplett aus seinem Blick und seiner Miene herauszuhalten. Was toll gewesen wäre, wäre sie keine Empathikerin gewesen.
»Die Kopfwunde ist bereits verheilt. Die andere … habe ich gerade ausgewaschen«, sagte sie, während er ihr half, sich aufzusetzen. »Und ich wollte gerade duschen, aber offenbar brauchte ich erst ein Schläfchen.«
Shane nahm die Kerze, die sie auf den Waschtisch gestellt hatte – sie hatte die Glühbirnen, die bei seinem letzten Besuch durchgebrannt waren, immer noch nicht ausgetauscht –, hielt sie hoch und leuchtete mit dem spärlichen Licht in die Ecken des Raumes. Er suchte etwas, womit sie sich bedecken konnte – außer dem Haufen blutiger Klamotten in der Ecke oder dem blutverschmierten Waschlappen im Waschbecken.
»Im Schrank im Flur ist ein sauberes Handtuch«, sagte sie. Sie spürte seinen Widerwillen, sich auch nur so weit von ihr zu entfernen, also zuckte sie die Achseln und fügte hinzu: »Aber es ist ja nicht so, als hättest du mich noch nie nackt gesehen. Oder als wäre ich so ’ne übertrieben sittsame, schamhafte Jungfer.«
Er lächelte nicht. Er war damit beschäftigt, sich im Kerzenlicht ihre Schusswunde anzusehen, sowohl die Eintritts- als auch die Austrittswunde. Sie heilte schnell – selbst ohne seine Hilfe.
Obwohl beide wussten, dass sie noch viel schneller und schmerzfreier heilen würde, wenn er sich auszog und mit ihr in die Dusche kam.
Und tatsächlich stellte er die Kerze ab, begegnete ihrem Blick und sagte: »Wenn du willst, kann ich, ähm … Es muss nichts bedeuten. Ich will dir nur helfen.«
»Ein Akt der absoluten Selbstlosigkeit«, sagte Mac.
Und endlich lächelte Shane, aber Reue und Traurigkeit schwangen darin mit. »Nein. Ich nehme, was ich kriegen kann, und zehre dann davon, bis du mich das nächste Mal
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