Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
Man könnte mit ihm machen, was man wollte, und niemand würde einen Scheiß darauf geben.«
»Ich bin mir da nicht so sicher, mein Junge«, sagte Philip, »aber vor einem Monat haben sie ihn jedenfalls in die Chirurgie gekarrt und ihm ein Hirnrinden-Interface verpaßt.« Eine neue Datenseite wurde eingeblendet. »MacLennan hat es als Bestandteil eines neuen Beurteilungsprojekts angeordnet. Diesen Unterlagen zufolge sollte das Interface Daten über die auslösenden Stimulantien seines psychotischen Zustandes liefern. Die Ergebnisse der Nachuntersuchung sind geheim.«
»Ich wußte, daß …« Greg schien für einen Moment verwirrt und schnalzte dann mit den Fingern. »Natürlich, Stephanie Rowe hat mich über Bursken unterrichtet, und MacLennan saß einfach nur da und hörte zu, wie sie die Fakten für mich rezitierte!«
»Du hast die beiden also nicht verhört«, stellte Eleanor fest.
»Danke«, sagte er.
Julias Netzknoten zeigten, wie die Sicherheitsprogramme der zweiten Stufe fielen, als das Virus in sie eindrang. Gewaltige Datenansammlungen materialisierten visuell in den Knoten, dicht gepackte Konfigurationen aus farblosen binären Ziffern, die sich bis zu Julias Gedankenhorizont erstreckten. Ein Stoß Aufspürprogramme von Royan glitt durch sie hindurch.
Burskens Operationsunterlagen verschwanden von dem Flachbildschirm vor ihr. EIN PROBLEM, wurde dort gedruckt.
»Was ist los?« fragte Greg.
ICH DENKE, ICH HABE DIE PARADIGMEN-DATEI GEFUNDEN. SIE IST ALS DATEI GEKENNZEICHNET, DIE DIE ERGEBNISSE DER NACHFOLGEUNTERSUCHUNG VON BURSKENS HIRNRINDEN-INTERFACE ENTHÄLT. NUR DER DIREKTOR DARF SIE ÖFFNEN.
»Worin besteht also das Problem?«
SIE WERDEN ES MERKEN, WENN ICH SIE ÖFFNE. EINE MELDUNGSROUTINE IST IN DIE HARDWARE DER KERNE EINGEBAUT. ALLE DATENÜBERTRAGUNGEN WERDEN AUTOMATISCH AUFGEZEICHNET.
»Aber die Kerne denken, daß wir vom Innenministerium sind«, wandte Julia ein. »Unter dieser Voraussetzung sind wir berechtigt, die Daten abzufragen. Berkeley betreibt Stocken auf der Grundlage einer staatlichen Lizenz.«
WENN WIR VOM INNENMINISTERIUM SIND, WIE KÖNNEN WIR DANN DIE ÜBERTRAGUNG EINER NUR FÜR DEN DIREKTOR ZUGÄNGLICHEN DATEI ANORDNEN? MACLENNAN MÜSSTE ES VOM INNENMINISTERIUM AUS GENEHMIGT HABEN.
»Okay, überlegen wir erst mal, was wir eigentlich erreichen möchten«, sagte Greg. »Als erstes muß Inspector Langley gleich morgen früh in Stocken auftauchen, bewaffnet mit einem Datenbeschlagnahmebefehl, um das Paradigma zu finden. Wir müssen also sicherstellen, daß es auch da ist, ehe wir ihn hinschicken. Besteht irgendeine Gefahr, daß die Datei sich selbst löscht, wenn du eine Übertragung einleitest?«
NEIN.
»Dann denke ich, solltest du es tun. Morgan?«
»Ich finde auch kein Argument dagegen. Selbst wenn Sie MacLennan verhören sollten, wäre vorstellbar, daß ein Anwalt Ihre Aussage wieder zerpflückt; im Hinblick auf übersinnlich beschaffte Beweise bestehen nach wie vor rechtliche Unklarheiten. Wie Eleanor sagte, wir brauchen einen greifbaren Beweis. Die Indizien gegen MacLennan häufen sich immer mehr; nach meiner Auffassung ist er schuldig wie die Sünde. In dieser Datei muß das Killerparadigma stecken.«
»Okay, überspiele sie, Royan.«
Die Datei kam durch die Verbindung, ein großes Konstrukt, dessen Übertragung eine halbe Sekunde dauerte. In Julias Terminal war sie undeutbar, nur ein moiriertes Flickwerk aus Zufallsdaten, aber in ihren Gedanken …
Sie öffnete eine gesicherte Datei in einem der Speicherknoten und wartete ab, während das Konstrukt sie ausfüllte. Analyseprogramme sichteten die Bytes und versuchten, zusammenhängende Abschnitte zu finden. Die dabei entstehenden Schemata unterschieden sich von allem, was sie je gesehen hatte; da gab es analoge visuelle Sequenzen, verflochten mit Datenimpulsen, die sich der Entschlüsselung entzogen. Sie öffnete aufs Geratewohl einen davon.
Bilder in Chiaroscuro, schwarz und scharlachrot, breiteten sich lautlos rings um sie aus. Sie stand nachts auf einer regennassen Straße zwischen zwei billigen Häuserreihen, deren Mauern im strömenden Regen schimmerten und fast den Anschein erweckten, sie würden schmelzen. Am Himmel waren keine Sterne zu sehen, nur leere Nacht. Eine einsame Gestalt kam die Straßenmitte herunter, ein Mann im klatschnassen Überzieher. Julia spürte, wie Hochstimmung in ihr aufstieg.
Sie schlich durch einen Wald. Die glatten Stämme toter Buchen, in tiefem Weinrot gefärbt, schwebten an ihr
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