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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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doch, sich nicht im
geringsten darum kümmerten.
    Der Pfarrer
war ein einfacher Mann vom Land und kein sehr würdiger Vertreter seines Amtes.
Aber er stand zu seinen Freunden und hatte den Butler der Osbadistons sehr ins
Herz geschlossen. Deshalb waren es für ihn lauter kluge und wundervolle Jimmys,
die von den Sklavenhändlern auf den Westindischen Inseln in die Sklaverei
verkauft wurden.
    Guy
Wentwater, der vor einer Minute noch im Zentrum des Interesses stand und
angehimmelter Mittelpunkt der Gesellschaft war, hatte das Gefühl, daß er sich
plötzlich an einem kalten, isolierten Ort befand, der durch einen weiten
Abgrund von der anderen Seite getrennt war, auf der sich die Familie Armitage
liebevoll aneinander drängte und ihn anklagend ansah. Obwohl der Sklavenhandel
offiziell abgeschafft war, war es bekannt, daß viele Abenteurer wie Wentwater
weiterhin Sklaven nach Amerika und in die Karibik lieferten, und keiner hielt
sie deswegen für schlecht – abgesehen von ein paar ewig nörgelnden Reformern.
    »Ich sehe
schon, ich muß mich verteidigen«, sagte Guy leise lachend.
    »Ich möchte
lieber über etwas anderes reden«, sagte der Pfarrer und hielt einen sehr langen
und langweiligen Vortrag über das Jagen, der die Unterhaltung miteinander
während der nächsten Gänge bis zum Portwein und den Walnüssen ersetzte.
Schließlich beendete der Pfarrer seine Abhandlung mit den Worten, er sei zu
müde, um auch nur eine Minute länger aufzubleiben und es sei »höchste Zeit für
die Kinder, ins Bett zu gehen«.
    Daß der
Abend so plötzlich endete, war den Armitages höchst peinlich und machte Guy
Wentwater immer wütender.
    Es war ihm
nicht möglich, mit der schönen Annabelle allein zu sein – sie war sogar die
erste, die den Raum verließ.
    Als er im
Gutshaus seiner Tante angekommen war, war Guy Wentwater soweit, daß sein Ärger
alle zarteren Gefühle für
Annabelle Armitage zum Verstummen gebracht hatte.
    Er hatte
einen Fehler gemacht, das war alles. Im Grunde hätte er sich zu gut fühlen
sollen für jemanden, der einer Familie vom Lande mit primitiven und sonderbaren
religiösen Vorstellungen angehörte.
    Und wie
stand es um Annabelle? Minerva öffnete traurig die Schlafzimmertür und
erwartete die junge Dame in Tränen aufgelöst.
    Aber
Annabelle bürstete sich wie üblich ihre Haare und wirkte ganz unberührt.
    »Es tut mir
leid, Bella«, sagte Minerva sanft. »Ich hoffe, es ist kein zu großer Schlag für
dich.«
    »Pah!«
sagte Annabelle achtlos. »Ich bin erleichtert. Die Entschuldigung war so gut
wie jede andere. Er hat mir Angst gemacht. Seine Zärtlichkeiten wurden zu
intim.«
    »Annabelle!«
rief Minerva. »Er hat nie ...?«
    »Nein, nie.
Nur Küsse und so was. Aber er keuchte ein bißchen, Merva«, kicherte Annabelle.
»Meinst du, daß alle Männer so sind?«
    »Ich weiß
es nicht«, zierte sich Minerva. »Sprich dein Gebet, Annabelle, und Mr.
Wentwater wollen wir bitte vergessen.«
    »Ach,
Merva, du bist so prüde! Schau nicht so böse! Es hat eine Zeitlang Spaß
gemacht. Ich habe mich wie eine Heldin gefühlt, wenn ich daran dachte, daß ich
die Familie rette. Aber – Pech, ausgerechnet ein Sklavenhändler.« Sie kicherte
wieder. »Er sah recht schockiert aus. Du mußt zugeben, Merva, es ist ziemlich
überraschend, wenn Vater plötzlich Prinzipien hat! Er ist ja sonst ein ganz
ungewöhnlicher Pfarrer und zitiert seine Bibel wirklich nur dann, wenn ihm
nichts anderes mehr einfällt.«
    »›Du
sollst deinen Vater und deine Mutter ehren‹. Denk an das fünfte Gebot«,
sagte Minerva streng.
    »Ach, du
bist genau wie er«, lachte Annabelle. »Eines Tages wird deine prüde Fassade
zusammenbrechen, Minerva, und du wirst uns einen gehörigen Schreck einjagen.
Na ja, es scheint so, als müßtest du nun doch nach London gehen!«
    »Ja, ich
muß«, sagte Minerva bestürzt. Dann wunderte sie sich, daß der Gedanke an eine
Saison in London, der sie vor kurzer Zeit noch mit Angst und Schrecken erfüllt
hatte, jetzt eine so angenehme Mischung von Vorfreude und guter Laune
hervorrief.
    In den
kurzen Wintertagen und langen Winternächten, die folgten, stellte Minerva zu
ihrem Entsetzen fest, daß das Bild Lord Sylvesters statt zu verblassen immer
lebendiger wurde. Träume quälten sie, und wenn sie aus ihnen erwachte, spürte
sie noch den Druck seiner Lippen auf ihrem Mund.
    Früher
hatte sie sich eines reinen Gewissens erfreut. Sünde war etwas, was man bei
allen anderen bekämpfen mußte, nicht im eigenen

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