Mira und die verwunschenen Kugeln (German Edition)
fragt ...«
»… dann sage ich ihm, dass du leblos den Kanal hinuntertreibst«, ergänzte der Zwerg.
»Danke!« Mira biss sich auf die Lippe. »Ich werde dich nicht vergessen! Dich nicht und deine Najade auch nicht.«
»Ich weiß. Aber jetzt beeil dich lieber.«
»Ich komme wieder«, sagte Mira. »Ich kann dir nur nicht sagen, wann.«
»Ich habe Zeit«, flüsterte der Zwerg. »Das Einzige, was ich habe, ist Zeit.«
Mira verließ den Zwerg und die Tür und stolperte durch den leeren Keller. Nach einer Weile stieß sie gegen das Treppengeländer. Langsam, ganz langsam tastete sie sich die Stufen hinauf. War die schwarze Hexe wieder hier?
Doch als sie die Tür zur Wohnung öffnete, war alles nochgenauso verlassen wie am Nachmittag. Es wirkte jetzt bei Nacht sogar noch leerer und unheimlicher, als es Mira bei Tageslicht erschienen war. Die schweren, dunklen Vorhänge warfen lange, unheimliche Schatten auf die staubigen Böden, und Mira zuckte bei jedem Schritt auf der knarrenden Treppe zusammen. Ihr war, als würde ihr gleich eine ganze Geisterarmee aus dem verschlungenen Muster der Tapeten entgegenkommen. Doch nichts geschah und unbehelligt gelangte Mira in die Dachkammer.
Die Luft hier war stickig und der Kamin ragte wie ein großes, gähnendes Loch in den Raum. In der Dunkelheit sah er so aus, als hätte er alle Gegenstände und alles Leben in dem Haus eingesaugt. Mira musste an die Geschichte des Silbermännchens denken. Hier hatte die schwarze Hexe gelebt und gearbeitet, und hier hatte sie sich vor Sehnsucht nach Cyril, dem Drachen, verzehrt.
Da waren sie – in der Dunkelheit kaum zu erkennen.
Eckige kleine Buchstaben, die über dem Kamin eingeritzt waren. Durch den Spiegel waren sie viele Jahre gut verborgen gewesen. Die schwarze Hexe hatte sie erst lesen können, als sie den Spiegel mit dem Briefbeschwerer zertrümmert hatte.
Was sie wohl dachte, als sie die Worte sah?
TEMPUS FUGIT.
Die Zeit vergeht.
Zaghaft trat Mira näher. Auf der Feuerstelle lagen noch angekokelte Holzscheite. Mira bückte sich und fasste sie an. Sie zerfielen augenblicklich zu feiner Asche. War das der Eingang eines weiteren Rätselgangs? Ein Kamin?
Sie duckte sich und stieg über das Kamingitter. Die abgebrannten Holzscheite knirschten unter ihren Füßen. Ob dasdie Scheite waren, die gebrannt hatten, als das Feuer alle Karten des Silbermännchens verschlang? Alle bis auf die eine, die nun irgendwo auf dem Fluss trieb?
Und wieder fühlte Mira einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen.
Da streifte sie plötzlich ein Windhauch. Mira blickte nach oben. Ein paar Sterne am Nachthimmel blinkten durch den Kaminschacht. Und dort, ein gutes Stück über ihr, war eine Tür. Eine Steigleiter, die knapp über Miras Kopf begann, führte zu ihr. Mira zog sich mühevoll an der ersten Stufe hoch und kletterte dann auf die nächste, bis sie schließlich vor dem Eingang stand. Die Eisentür war über und über mit Ruß verschmiert und mit einem großen Riegel verschlossen. Mira versuchte, den Riegel nach oben zu schieben, was ihr aber auch mit größter Kraftanstrengung nicht gelang. Dann fiel ihr ein, wie Rabeus in die Litfaßsäule gelangt war, und sie klopfte dreimal gegen das Eisen. Und – siehe da – mit einem lang anhaltenden Quietschen schwang die Tür auf.
Mira trat in einen schmalen Korridor, in dem sie sogar aufrecht stehen konnte. Einen Atemzug später schloss sich hinter ihr mit einem erneuten Quietschen die Tür.
Mira ging vorsichtig vorwärts, die Arme vor sich ausgestreckt, um in der Dunkelheit nicht mit dem Kopf gegen eine Mauer zu stoßen. Doch nach ungefähr zwanzig Schritten war der Gang schon zu Ende. Mira spürte vor sich eine glatte, kühle Wand.
»Amor manet!«, sagte sie leise. Und wartete.
Eine Sekunde später tat sich der Boden unter ihr auf.
22. Kapitel
in dem sich Mira an die Vergangenheit erinnert
»Wie gemein ...«, dachte Mira im Fallen, »... dass sich der Rätselgang diesmal nicht nach vorne, sondern nach unten öffnet.«
Als sie nach einer kurzen Schrecksekunde wieder zu sich kam, fand sie sich plötzlich eingeklemmt zwischen einem Kasten Limonade und einem Sack Gartenerde. Ein Besen mit einem langen Plastikstiel stieß gegen ihren Kopf und eine ausgebeulte Plätzchendose rutschte ihr auf die Zehen. All das machte einen Riesenkrach, und Mira hoffte inständig, dass sie niemand gehört hatte, wo auch immer sie sich befand.
Mühsam rappelte sie sich hoch. Sie konnte kaum aufrecht stehen, denn die
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