Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
gewesen. Ich wäre zwar lieber tot gewesen, a ls mich von Triga verschleppen zu lassen, aber ich wusste nicht, wie ich mich dagegen wehren sollte. Da habe ich das Elvenschwert genommen und es in meine Hand gestochen.«
»Um die Kontrolle zurückzugewinnen?«
»Ich glaube nicht, dass ich in dem Moment so weit gedacht habe.«
Múria nickte. »Aber du hast es tief in deinem Innern so empfunden. Der Schmerz des Stichs hat dieses Gefühl aus dir herausgespült. Dadurch konnte die Macht entfesselt werden, die Triga altern und Falgons Herz jünger werden ließ.«
»Aber an der Dinganschlucht habe ich Schekiras Dorn nicht benutzt.«
»Natürlich hast du das. Er steckte ja in Zijjajim, das in Dormunds Schmiede deinen Daumen geritzt hatte. Die Bedeutung des ›Dorns‹, wie du ihn nennst, ist mir noch nicht ganz klar.
Vielleicht hat er eine ähnliche Aufgabe erfüllt wie bei den zwei Teilen des gläsernen Schwerts – obwohl das Satimschwert klein und schwach erscheint, verbindet es sie zu einer festen Einheit. Ich kenne so etwas vom Mischen meiner Tinkturen. Um die heilenden Stoffe zweier Kräuter wirken zu lassen, muss ich ihnen hin und wieder einen dritten beifügen, der für sich allein gesehen völlig unnütz, manchmal sogar gifti g ist.«
»Du meinst, wie dieser Eisenhut?«
»So in etwa, ja.«
»Und was war der eigentliche ›Wirkstoff‹, der Ergil und mir die Kraft für diese ungewöhnlichen Taten gegeben hat?«
»Ich dachte, ich hätte es schon erwähnt.«
Twikus bekam einen glasigen Blick. Längst wünschte er, sein Bruder wäre wieder wach und würde ihm das Nachdenken über diese schweren Fragen abnehmen. » Die Kontrolle?«, schlug er zögerlich vor.
Múrias Gesicht begann zu strahlen. »Sehr gut, Twikus! Jetzt bist du dem Geheimnis deiner Kraft schon ganz nahe. Jedes Mal, wenn sie mit der Macht einer Sturmflut aus dir hervorbrach, hattest du dich unbewusst gegen die Wehrlosigkeit gesträubt. Dagegen, dein Schicksal und das deiner Freunde in fremde Hände zu geben. Du wolltest einen freien Willen haben und ihn auch ausüben.«
»Da s sol l alle s sein?«
»Unterschätze diese Freiheit nicht, Twikus. Sie ist etwas anderes als der Trotz eines kleinen Kindes, das mit dem Fuß aufstampft und wider alle Vernunft sagt: ›Ich will aber!‹ Hat sich etwa der Eisenhut davon beeindrucken lassen?«
Twikus schabte mit der Zehenspitze über den Boden. Er fühlte sich durchschaut. »Ich wusste ni c ht, wie ich es anstellen soll…«
»Schon gut. Ich möchte dich nicht bloßstellen. Du sollst nur verstehen. Einen freien Willen ausüben heißt, seine Freiheit teilen. Manchmal bedeutet es sogar, sich einem anderen unterzuordnen. Denke an den Adler, der kaum mit den Flügeln schlagen muss, weil er sich von warmen Winden tragen lässt. Er kann diesen nicht seinen Willen aufzwingen, sondern nur mit ihnen harmonieren. Willst du mit der Natur in Einklang sein, Twikus, dann lerne von ihm und all den anderen Geschöpfen. Das Volk der Weisen jedenfalls lebte nach diesem Motto. Sie öffneten sich und nahmen die Welt in ihrer reichen Vielfalt in sich auf. So wurden die Bedürfnisse anderer Geschöpfe ihre eigenen, ihr Wille war eins mit dem Streben der ganzen Schöpfung. Darin liegt das Geheimnis ihrer Macht.«
Im Kopf des Prinzen schwirrten unterschiedlichste Gedanken umeinander. Er kam sich mit einem Mal überhaupt nicht mehr wie ein Held vor. Eher wie die welke Blume in seiner Hand.
»Versuche es noch einmal«, ermunterte ihn Múri a . »Aber diesmal mit der Absicht, deinen Willen mit dem des Pflänzchens in Harmonie zu bringen.«
Ohne es recht zu merken war Twikus zum Schüler geworden, der den Anweisungen seiner Lehrerin gehorchte. Abermals richtete er den Blick auf den schlaffen Blütenstängel. Mit dem Willen des Pflänzchens in Harmonie bringen, wiederholte er in Gedanken. Seit wann haben Blumen einen Willen? Wenn überhaupt, dann kannte Ergil sich in solchen Befindlichkeiten aus, aber nicht er.
»Du musst es von außen nach innen dringen lassen«, fügte Múria hinzu, als sich nach einigem Warten immer noch nichts tat.
Twikus schloss die Augen. Von außen nach innen. Na gut! Er stellte sich den Eisenhut als lebenden Organismus vor, der Wasser brauchte und Sonnenlicht, der auf Insekten wartete, d ie ihn bestäubten, in dem Säfte kreisten, die heilen und töten konnten… Je intensiver er sich von seinem eigenen Wunsch löste, die Blume einfach wieder erblühen zu lassen, desto mehr wurde er eins mit ihr. Mit
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