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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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stand, in gleißendes Sonnenlicht getaucht, ein Mann aus Sand!
    Die Figur wirkte auf eine entsetzliche Weise lebendig und doch tot. Ersteres wurde durch die unglaubliche Feinheit der vielen kleinen und kleinsten Einzelheiten unterstrichen – von der Kleidung über die Runzeln und vorstehenden Adern der Haut bis hin zum Haar stimmte einfach alles. Aber die Oberfläche der unheimlichen Figur sah trocken und spröde aus. Leblos. Sie war so braun wie der Lehmboden in den Gassen von Ostgard.
    Die beiden Zöpfe auf dem Haupt des Sandmannes ließen auf eine pandorische Herkunft schließen. Seine Beine waren wie unter einer schweren Last gekrümmt, der Körper erschien seltsam verdreht. Die Gestalt hatte den rechten Arm zum Lichtloch in der Decke hochgereckt, die Hand zu einer Kralle verkrampft. Mit der Linken umfasste sie ihren Hals.
    Das Gesicht war eine Maske des Schreckens: Augen so groß wie Feigen, die sich scheinbar just in dem Moment zu Sand verwandelt hatten, als sie dem Mann aus den Höhlen springen wollten, und ein weit aufgerissener Mund, der sämtliche Qualen sämtlicher Gequälter in sämtlichen Welten herauszuschreien versuchte, es aber niemals schaffen würde.
    Twikus hätte sein gläsernes Schwert darauf verwettet, dass die Figur vor kurzem noch quicklebendig gewesen war.
    Die grauenvolle Entdeckung hatte einen Moment lang seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht. So bemerkte er erst jetzt, dass sich unter seiner Sohle etwas Weiches befand. Er hob den Fuß und blickte nach unten. Auf den Dielen lag ein großer Dolch aus Sand. Die gebogene Klinge war in der Mitte platt getreten. Twikus’ Herz begann zu rasen. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er schnappte nach Luft, öffnete den Mund und sah von der zerbröselten Waffe zu seinem Ziehvater auf.
    Falgons Zeigefinger lag auf seinen Lippen, er schüttelte energisch den Kopf. Es war ein lautloses: Still, Junge!
    Als erneut das dunkle, durchdringende Schnauben aus den Tiefen des Raumes scholl, rissen sich die zwei vom Anblick der Figur los und setzten ihren Vorstoß fort. Dabei bog sich eines der langen Bodenbretter ächzend unter Falgons Gewicht. Der Sandmann wankte. Einen Moment lang sah es so aus, als würde die Figur umkippen, aber dann verlagerte der Waffenmeister sein Gewicht und sie neigte sich wieder in eine stabile Lage zurück.
    Plötzlich hallte ein Gepolter durch den Raum, das nur von außergewöhnlich großen Hufen stammen konnte. Der Verursacher des Lärms verbarg sich hinter einer langen Barriere aus Kisten und Ballen, die bis an die rechte Außenmauer des Kontors reichte. Falgon und Twikus musterten den nur zwei Schritte breiten Durchgang, der sich an der gegenüberliegenden Wand befand. Beim Passieren dieser Engstelle konnten sie sich kaum verteidigen, ohne sich gegenseitig zu behindern. Wenn Kaguan ihnen irgendwo auflauerte, dann hinter diesem Nadelöhr.
    Der König und sein Waffenmeister wechselten fragende Blicke. Sollten sie den Durchgang erstürmen?
    Was meinst du, Ergil?, erkundigte sich Twikus bei seinem Bruder.
    Wenn sich das schwarze Schwert hinter dem Stapel befände, hätten wir es längst spüren müssen, antwortete eine grüblerische Gedankenstimme.
    Stimmt! Allerdings könnte es eine List sein. Was, wenn Kaguan die Bruchstücke irgendwo anders versteckt hat?
    Zumindest könnte sich unsere Alte Gabe dann frei entfalten. Wir müssen den Zoforoth nur daran hindern, seinen Gesang der Macht anzustimmen, sonst …
    … verwandelt er uns in Sandmänner. Das werde ich zu verhindern wissen. Twikus nickte Falgon zu.
    Einen langen Atemzug später stürmten sie die Engstelle. Der Waffenmeister rückte als Erster in geduckter Haltung mit Speer und Breitschwert vor, während sich direkt über seinem Haupt der schussbereite Bogen des Königs befand.
    Der erwartete Angriff auf der anderen Seite des Kistenwalls blieb aus. Kaguan hatte sich offenbar aus dem Staub gemacht. Dafür sahen sich die beiden Recken dem riesigen, feuerroten Drachenross gegenüber.
    Mensch und Tier verharrten in einem Moment überraschten Staunens.
    Plötzlich erwachte das Ross aus der Starre. Seine mächtigen Hufe schlugen mit einer solch unbändigen Gewalt um sich, dass sie leicht einen Ochsen hätten töten können. Zum Glück war das Tier mit zwei dicken Schiffstauen an Stützbalken festgebunden. Die mangelnde Bewegungsfreiheit schien es aber umso wilder zu machen. Es schnaubte drohend, während ihm gleichzeitig schaumiger Geifer aus dem Maul troff und es seine

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