Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
als Nächstes überraschen werdet.«
Goldpflaume war eine gute Mutter. Ihre »Kinder« wuchsen und gediehen. Ergil griff mit seiner Gabe sehr behutsam in deren Reifeprozess ein, weil die Ginkgodame ihn gebeten hatte, sie nicht zu sehr zu drängen. Entstehendes Leben brauche eben seine Zeit.
Unterdessen erfüllte Oramas sein Versprechen und ließ die susanische Schiffsflotte ausrüsten. Es war die mächtigste von ganz Mirad. Weil sein Heer ohnehin schon in Alarmbereitschaft stand, ging alles sehr zügig voran. Bereits fünf Tage nach der Befruchtung des Ginkgos stachen hunderte von Schiffen in See. Mit denen, die im Norden von Susan stationiert waren, würden am Ende über zweitausend Kurs auf Soodland nehmen.
Dormund war auf eigenen Wunsch von Ergil an den susanischen Flottenadmiral ausgeliehen worden, um dessen Schiffe durch die fremden Gewässer des Schollenmeers zu lotsen. Sofern das Eis vor Elderland schmolz. Andernfalls würde es davor zu einer Begegnung mit den Geschwadern von Ostrich kommen.
»Du bittest mich doch nicht etwa darum, weil du Tjelma in Isgard Wiedersehen willst?«, hatte Ergil seinen Freund gefragt.
Der Schmied war daraufhin rot geworden und hatte entrüstet geantwortet: »Was redest du da! Ich könnte ihr Vater sein.«
Ergil war nur mit Mühe ernst geblieben. »Es ist nicht verboten, sich in eine junge Frau zu verlieben.«
»Wenn du das so genau weißt, warum tust du dich dann so schwer damit?« Mit seiner Antwort hatte sich Dormund augenblicklich Ruhe verschafft.
In den folgenden vier Wochen war Ergil oft in Gedanken versunken. Warum tust du dich dann so schwer damit? Die Frage des Schmiedes beschäftigte ihn mehr, als er es sich eingestehen wollte. Wäre es wirklich Verrat an Twikus, wenn er für Nishigo zärtliche Gefühle empfand? Ja, was nützte es überhaupt, sich mit diesen Zweifeln weiter zu quälen? War er nicht längst unrettbar bis über beide Ohren in sie verliebt?
Ein soodländisches Sprichwort lautet: »Nur wer nachsinnt, ändert sich.« Rückblickend konnte Ergil dieser Weisheit nur beipflichten. Er hatte beim Grübeln über sich und Nishigo, ohne es gleich zu merken, seinen Standort in der Beziehung zu Twikus neu bestimmt. Früher war er sich oft wie der minderwertigere Teil des Zweiergespanns vorgekommen und hatte sich deshalb immer wieder in unsinnige Streitigkeiten mit seinem Bruder verwickeln lassen. Jetzt sah er sich endlich als ein unabhängiges Wesen mit eigenen Bedürfnissen. Und dem Recht auf eine Liebe, die er mit niemandem teilen musste. Merkwürdigerweise fühlte er sich durch die Abnabelung von Twikus diesem näher als je zuvor.
Was manche mit dem Ehrfurcht einflößenden Wort »Selbsterkenntnis« umschreiben, führte bei Ergil zu erstaunlichen Beobachtungen. Sobald er nämlich durch den Strudel der für Nishigo empfundenen Gefühle hindurchgetaucht war, wurde ihm eine große Stille bewusst. Schon in Xk hatte er den Eindruck gehabt, die Zornissen plagten ihn weniger als zuvor. Möglicherweise war ihnen das »Trockenlegen« nicht gut bekommen. Nachdem dann der Weg zur Rettung seiner Mutter geebnet war, hatte die Zuneigung zu ihr alle Verzweiflung der vergangenen Wochen weggeschwemmt und war einer Euphorie gewichen, die den Feuerraupen kaum gemundet haben dürfte. Und jetzt kam die Liebe zu Nishigo hinzu.
Vom Regenbogen wusste Ergil, dass Licht aus Farben besteht, und ebenso musste es mit der Liebe sein. Sie strahlte in den verschiedensten Tönen. Da gab es ja nicht nur das Feuer, das Nishigo in ihm entflammt hatte, sondern auch die innigen Gefühle für die Mutter und den Bruder sowie die enge Verbundenheit mit den Freunden, aber auch die Zuneigung für seine Mitmenschen, welche ihm und Twikus einst den Sieg über Wikanders unheimliche Wächter geebnet hatte. Und alles zusammen ergab reines, weißes Licht.
War das die vollkommene Liebe?
Jedenfalls hatten sich die Zornissen in den letzten Wochen erstaunlich ruhig verhalten. Múria war der Meinung, die Feuerraupen könnten dazu gezwungen werden, sich zu verkapseln, wie Tiere, die sich tot stellen. Allerdings hatte sie vor diesem Zustand trügerischer Sicherheit gewarnt. Durch »starke Gefühlsaufwallungen der finsteren Art« könnten die Parasiten wieder hervorbrechen, um ihr mörderisches Werk zu vollenden.
Während die Ginkgofrüchte allmählich zur Reife kamen, stellte sich Ergil daher in mancher Nacht die Frage, ob die Raupen wohl mitverkümmerten, wenn seine Sehnsucht nach der Prinzessin ihn
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