Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Kapitän grinste. »In mir steckt immer noch ein Flusspirat. Und in meinen Männern ebenso. Wir haben in solchen Dingen einige Übung.«
Hinterm Horizont nahm die Sonne noch Anlauf für den neuen Tag, als die Silbergingko im Hafen von Sooderburg ablegte. Ohne Positionslichter nahm sie Kurs aufs offene Meer. Nicht einmal die Segel hatte ihr Kapitän setzen lassen – das Sirilimschiff kam, sofern Geschwindigkeit keine Rolle spielte, auch ganz gut ohne zurecht. Lautlos glitt es an einer ostrichischen Bark vorbei, die, wie Bombo sich erinnerte, Segel mit rotweißen Querstreifen hatte. Wie der Unterrock einer Hure. Er unterdrückte ein Lachen.
So entkam die Silberginkgo unbemerkt der Umklammerung des Feindes. Es war der Tag, als der Sturm auf die letzte Bastion von Soodland begann.
24
REIFEZEIT
Ergil traute seinen Gefühlen nicht. Sie verwirrten ihn. Waren sie echt? Oder nur ein Echo dessen, was sein Bruder für Nishigo empfunden hatte? Wie ging man mit Glück um, das einem anderen gehörte?
So kam es ihm nämlich vor, nachdem er dem Mazar das Zugeständnis abgerungen hatte, die Prinzessin in den Stand einer Hüterin des heiligen Ginkgo zu erheben: wie ein Dieb. Das Gerede vom Symbol der Freundschaft zwischen den Völkern Susans und Soodlands war nur vorgeschoben. Mehr oder weniger jedenfalls. Es wäre falsch zu behaupten, ihm hätte nichts daran gelegen, aber den Antrieb für seinen spontanen Vorstoß beim Mazar hatte etwas ganz anderes gegeben. Er fühlte sich in Nishigos Gegenwart sehr wohl.
Der Hüter und die Hüterin verbrachten täglich viele Stunden miteinander. Um keinen Makel auf den blütenweißen Ruf der Prinzessin kommen zu lassen, war das Paar dabei nie wirklich allein. Der Mazar hatte zum Schutze der Keuschheit seiner Tochter einen ausgeklügelten Dienstplan aufstellen lassen, der offenbar den ganzen Hofstaat einbezog. Manchmal standen, wenn Ergil schon vor dem Frühstück den Goldfruchtbaum besuchte, Korbstühle am Rand des Wiesenrunds, als wären sie nachts vom Himmel gefallen. Sobald Nishigo sich zeigte, erschienen wie beiläufig Hofdamen auf der Bildfläche, ließen sich auf den Stühlen nieder, begannen wie eine Schar Hühner aufgeregt zu gackern und zu kichern und sich ihre Handarbeiten zu zeigen.
Weil die Unschuld der Prinzessin eine Staatsangelegenheit war, lag die Hauptverantwortung für ihre Beaufsichtigung bei Koichi, dem Obersten der Palastwache. Je länger sich Ergil während der Arbeit unter dem Ginkgo umsah, desto mehr Gardisten konnte er ausfindig machen. Manchmal beschlich ihn das Gefühl, im ganzen Park seien Masken zur Abschreckung böser Geister aufgehängt, weil man nie sicher sein konnte, wo einem die unbewegten Mienen der Soldaten begegneten. Er entdeckte sie auf Dächern und Wegen, hinter Büschen und Bäumen, manchmal hoch oben im Geäst, dann wieder, wenn er zufällig durch ein Gitterrost zu seinen Füßen blickte, tief unten in der Abwasserkanalisation.
Während Ergil sich nur allmählich an das ständige Beobachtetsein gewöhnte, tat Nishigo so, als gebe es die Anstandsdamen und -herren nicht. Manchmal hatte er das Gefühl, sie verwandele sich in einen anderen Menschen, sobald sie unter den gebauschten Blätterrock der Dame Goldpflaume trat. Allmählich begriff er jedoch, dass Oramas’ Tochter nur dort ganz sie selbst war. In seiner Gegenwart spielte sie nicht die Prinzessin, die ihre Gefühle nicht zeigen durfte, sondern offenbarte ihr wahres Wesen. Sie lachte und weinte, sprach über ihre Freuden und die Trauer um Twikus, ließ Ergil mit ernstem Gesicht an ihren innersten Gedanken teilhaben oder plauderte mit ihm ganz unbeschwert und fröhlich. Manchmal schien sie bei der Arbeit aber auch alles um sich herum zu vergessen, selbst den jungen König, der sie verzaubert beobachtete, und sang mit wunderschöner Stimme leise vor sich hin wie ein kleines Mädchen, das einen Blumenkranz flocht.
Während so die Tage dahingingen, beobachtete Ergil allerlei Veränderungen. Es begann bei ihm selbst. Wenn er mit seinen Freunden beim Frühstück saß, war er oft abwesend, weil er in Gedanken schon mit Nishigo unter dem Goldfruchtbaum weilte. Nicht selten ließ er das Essen unangetastet stehen, achtete nicht auf die beredten Blicke, die sich seine Gefährten zuwarfen, sondern eilte so schnell wie möglich hinaus in den Garten.
Auch Nishigo war nicht mehr dieselbe, die ihn am Abend seiner Ankunft aufgesucht hatte. Immer seltener nannte sie ihn ihren
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