Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
verzehrte. Sollte dies der Fall sein, dann war das baldige Ende der Zornissen abzusehen, denn die Ernte der Früchte stand unmittelbar bevor. Mujo hatte inzwischen erkleckliche Mengen Xkschleim zu feinem Pulver zermahlen und war bereit, mit dem ausgepressten Saft der gepflückten Früchte innerhalb weniger Stunden das Wasser von Silmao herzustellen. Sobald der Leibarzt des Mazars damit fertig war, würde Ergil das Lebenselixier nach Soodland fliegen – weit weg von Nishigo.
Im ersten Moment hatte er das Flüstern nicht bemerkt, obwohl im Schlafgemach Zwielicht und Stille herrschten. Ergil und Nisrah saßen sich gegenüber, der König auf dem Diwan und der Netzling, als halb durchsichtige Gestalt in Denkerpose, auf einem gepolsterten Stuhl. Ein dünner Körperfaden war die einzige Verbindung zwischen ihnen.
Sie hatten gerade lautlos über die vor ihnen liegenden Aufgaben gesprochen. Seit der Bestäubung des Ginkgos waren fast fünf Wochen vergangen und die gelben Früchte hatten mittlerweile das Aussehen von prallen Mirabellen angenommen. Die reiferen verströmten bereits einen unverkennbaren Duft, der dem Geruch ungewaschener Füße verblüffend ähnlich war. Daher hatte der Mazar für den nächsten Morgen die »heilige Handlung der Ernte« anberaumt. Bereits an diesem Nachmittag war die Argo in den Palastgarten zurückgekehrt. Inzwischen hatte die Sonne hinterm Horizont ein pfirsichfarbenes Feuerwerk entzündet. In der Gemeinschaft des Lichts herrschte Aufbruchstimmung. Nur beim König von Soodland nicht.
»Ergil?«
Jetzt hatte er das Wispern gehört. Es kam von dem Rosenholzgitter. Sein Kopf fuhr herum und er flüsterte: »Nishi?«
»Kann ich dich sprechen, Ergil?«
»Warte, ich komme.« Er wandte sich nach innen. Entschuldige.
Ist schon klar. Alte Netze wie ich sind es ja gewohnt, wenn man sie hängen lässt, maulte Nisrah.
Nur ganz kurz, mein Freund. Ehe der Weberknecht noch weiter den Beleidigten spielen konnte, hatte sich Ergil von ihm gelöst.
Rasch lief er zur Tür. Und kaum hatte er das Gitter aus Holz und Papier zur Seite geschoben, fiel Nishigo ihm auch schon in die Arme. Seit jenem Abend vor nun bald fünf Wochen war die Prinzessin ein braves Mädchen gewesen und hatte keine heimlichen Streifzüge zu den Gästequartieren mehr unternommen. Als Ergil jetzt diesen Umstand ansprach und beiläufig erwähnte, dass es noch nicht einmal richtig dunkel sei, brach sie in Tränen aus. Er war einigermaßen verwirrt.
»Warum weinst du, Nishi?«
»Wieso wohl?«, schluchzte sie.
Er streichelte unbeholfen ihren Hinterkopf und fragte sich, welche Todesart Oramas ihm wohl für diese kleine Zärtlichkeit zugedenken würde. Natürlich ahnte er, was in Nishigo vorging, wagte aber nicht, das heikle Thema von sich aus anzusprechen. Nach reiflichem Zögern entschloss er sich zu der unverfänglichen Formel: »Sag du es mir.«
Sie lehnte den Kopf zurück, funkelte ihn aus ihren Karneolaugen an und ließ das Gesicht wieder gegen seine Brust sinken. »Bald verlässt du mich.« Ihre Worte klangen erstickt und unüberhörbar vorwurfsvoll.
Ergil schluckte. »So würde ich das nicht ausdrücken, Nishi. Ich…« Er suchte nach einer passenderen, weniger harten Umschreibung.
»Du lässt mich allein«, schlug sie vor.
Sein Herz verkrampfte sich. Er würgte einen Kloß hinunter. »Nishi, du weißt, warum ich nach Soodland zurückkehren muss… «
»Dann nimm mich mit«, fiel sie ihm ins Wort und begann erneut zu schluchzen.
»Ich soll…?« Es verschlug ihm die Sprache.
»Liebst du mich denn nicht?«
»Ob ich dich…?« Ihm wurde schwindelig. In seinem Kopf stürzte eine Mauer ein, vielleicht die letzte, die zwischen ihm und Nishigo gestanden hatte. Er sah nur noch Staub. »Aber was ist mit Twikus…?« Ergil biss sich auf die Unterlippe. Was für eine dämliche Frage!
Die Prinzessin stieß sich empört von ihm ab. Selbst im kargen Licht des scheidenden Tages sah sie noch hinreißend schön aus. »Du bist ein Hornochse, wenn du mich ernsthaft so etwas fragst!«
Ja. Gib’s ihm. Er hat es nicht anders verdient, feuerte sie eine Stimme an, die sich irgendwo in Ergils Kopf versteckte. Der Staub von der eingestürzten Mauer war immer noch zu dicht, um ihn einen klaren Gedanken fassen zu lassen.
Vielleicht sah Nishigo seine Verzweiflung, möglicherweise suchte sie auch nur Geborgenheit, jedenfalls schmiegte sie sich wieder an ihn und fragte leise: »Liebst du deinen Bruder noch?«
»Natürlich!«, erwiderte er
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