Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
sofort, weil ihm die Antwort unverfänglich erschien.
»Siehst du. Und ich werde Twikus auch immer lieben. Aber deshalb müssen mir doch nicht alle anderen Menschen gleichgültig sein. Vor allem nicht du, Ergil. Ich will bei dir bleiben, ob du nach Soodland oder irgendwo anders hingehst.«
Ergils Gefühle waren außer Rand und Band. Wie gerne hätte er geschrien: Ja, dann komm mit mir und wir werden ein Paar! Stattdessen hörte er sich sagen: »Du musst auf deinen Vater Rücksicht nehmen.«
»Meine Mutter kommt aus dem Stromland. Meinst du, er hat sich seine Liebe vom Vater oder den Ministern oder vom Volk verbieten lassen? Er wird mich verstehen.«
Ergil stöhnte innerlich. Für das, was er jetzt sagen musste, hasste er sich. »Nishi, die Botenfalken haben schlimme Kunde aus Soodland gebracht. Es herrscht Krieg. Mein Reich brennt an allen Enden. Vielleicht werde ich sterben, bevor…« Ihm versagte die Stimme.
Sie fing an zu weinen. Es war kein lautes, trotziges Jammern – das hätte er vielleicht noch ertragen können –, sondern ein schon fast stilles Greinen, wie bei einem Kind, das in seinem kleinen Körper den großen Weltschmerz fühlte. Das Wimmern zeugte von so seelentiefer Trauer, dass es Ergil im Grunde seines Herzens zu Tränen rührte.
In diesem Moment wollte er Nishigo nur trösten und so nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände, rang sich ein Lächeln ab und schickte sich an, ihr das gleiche Versprechen zu geben, das sie schon einmal von Twikus erhalten hatte: Wenn ich dieses Abenteuer überlebe, dann kehre ich zu dir zurück. Doch als er ihre Tränen glitzern sah, überkam ihn das Bedürfnis, ihre Seelenpein zunächst mit einem Kuss zu lindern. Seine Lippen näherten sich den ihren. Nishigo wehrte sich nicht, schien die Berührung sogar herbeizusehnen. Schon konnte er ihren warmen Atem spüren.
Als plötzlich die Alarmglocken schrillten.
Erschrocken fuhren sie auseinander und starrten sich an wie zwei Fremde, die sich zufällig in die Arme gelaufen waren. Ergil überlegte, ob er das Signal mit dem Kussversuch ausgelöst hatte. Unwillkürlich suchte er in den umliegenden Bäumen nach den maskenhaften Gesichtern von Koichis Aufpassern.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Nishigo.
»Ich weiß es nicht. Das letzte Mal, als ich diese Glocken gehört habe, bist du von Kaguan entführt worden.«
Sie rückte wieder näher an ihn heran. »Ich habe Angst, Ergil.«
»Der Zoforoth sitzt im Kerker meiner Festung«, beruhigte er sie. »Trotzdem sollten wir nachsehen, was da los ist. Warte, ich hole meine Waffen.«
Er lief in das Gemach, schlang sich den »gläsernen Gürtel« um den Leib und schnappte sich den Bogen samt Pfeilköcher. Schon wollte er den Raum wieder verlassen, als er Nisrahs spinnwebartige Gestalt winken sah. »Dich hätte ich fast vergessen«, murmelte er und schwang sich den Weberknecht über die Schulter.
Die alte Hängematte dankt, bemerkte Nisrah trocken.
Ergil griff sich noch den Umhang und lief wieder zur Prinzessin nach draußen. »Würde es dir etwas ausmachen, ein paar Schritte vorauszugehen, Nishi?«
»Fürchtest du, mein Vater könnte dich vierteilen?«
»Ist diese Hinrichtungsart nicht veraltet?«
»Für Schwerenöter macht er schon mal eine Ausnahme. Bleib bitte in der Nähe, Ergil.«
»Keine Sorge, ich hüte dich wie meinen Augapfel.«
Nishigo lief über den Kiesweg voraus und Ergil folgte ihr. Bald begegneten sie den ersten Palastwachen. Die Männer wollten die Prinzessin in Sicherheit bringen, aber Nishigo weigerte sich. Im Nu war sie von sechs oder sieben Soldaten umringt, die mit ihr Schritt zu halten versuchten. Ergil sah keinen Grund mehr hinterherzuschleichen und schloss zur Gruppe auf.
»Was ist passiert?«, fragte er, als habe es ihn rein zufällig in diesen Teil des Parks verschlagen.
Einer der Männer antwortete: »Eure Wolkenqualle frisst den Ginkgobaum!«
Ergil kam sich vor wie ein glühendes Stück Eisen, das zwischen Hammer und Amboss breit geklopft worden war. Die Nachricht von Argos Heißhunger auf Goldfruchtbäume hatte ihn zutiefst erschüttert. Sollte alles vergebens gewesen sein?
Nishigos Stimme hallte in seinem Kopf. Er starrte sie mit offenem Mund an, aber ihre Worte schienen sich in seinem Gehörgang ständig zu verfangen, ehe sie den Verstand erreichten. Was dort ankam, waren zunächst nur tiefe, seltsam gedehnte, völlig unverständliche Laute. Aber dann schluckte sein Bewusstsein trotzdem die schwer verdauliche
Weitere Kostenlose Bücher